Pflichtteil: Muss ich mir anrechnen lassen, was ich vom Erblasser erhalten habe?

Schenkungen und sonstige Zuwendungen des Erblassers zu dessen Lebzeiten sind nur in bestimmten Fällen auf den Pflichtteil anzurechnen.

Anrechnung auf den Pflichtteilsanspruch

Eine Anrechnung in Form eines direkten Abzugs findet nur statt, wenn der Erblasser Ihnen bei der Zuwendung erklärt hat, dass die Zuwendung auf den Pflichtteil anzurechnen ist.

Eine solche Erklärung wird nur im Ausnahmefall vorliegen, z.B. wenn Sie die Schenkung in einem notariellen Vertrag vereinbart haben und darin die Anrechnungsbestimmung enthalten ist, oder wenn der Erblasser Ihnen Geld überwiesen und in den Verwendungszweck „unter Anrechnung auf den Pflichtteil“ geschrieben hat.

Nicht ausreichend ist, wenn der Erblasser später – erst nach der Zuwendung – bestimmt, sie solle auf den Pflichtteil angerechnet werden. Solche verspäteten Anrechnungsklauseln, z.B. in Testamenten, sind unwirksam und damit unbeachtlich.

Bei der Berechnung ist zu beachten, dass das Geschenk dem Nachlass hinzugerechnet wird.

Beispiel:

Die verwitwete Erblasserin hat zwei Kinder, David und Sarah. Sie setzte ihren Sohn David durch Testament zum Alleinerben ein. Ihrer in finanzielle Not geratenen Tochter Sarah schenkte sie 10.000 Euro und erklärte ihr bei der Übergabe des Geldes, die Schenkung solle auf den Pflichtteil angerechnet werden. David erhielt keine Zuwendung.

Die Erblasserin hinterlässt ein Vermögen von 100.000 Euro. Sarah macht bei David ihren Pflichtteil geltend.

Das erhaltene Geschenk wird bei der Berechnung dem Nachlass hinzugerechnet. Von dieser Summe 110.000 Euro beträgt der gesetzliche Erbteil 1/2 von Sarah 55.000 Euro, der Pflichtteil – Hälfte des gesetzlichen Erbteils – 27.500 Euro. Davon ist das Geschenk abzuziehen, so dass 17.500 Euro als Pflichtteil zu zahlen sind.

Anrechnung auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch

Auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch werden Geschenke, die Sie als Pflichtteilsberechtigter vom Erblasser erhalten haben, immer angerechnet. Auf eine Anrechnungsbestimmung kommt es nicht an.

Beispiel:

Die verwitwete Erblasserin hat zwei Kinder, David und Sarah. Im Jahr vor ihrem Tod schenkt sie David 80.000 Euro und Sarah 20.000 Euro. Außerdem setzte sie David durch ein Testament zum Alleinerben ein.

Die Erblasserin hinterlässt ein Vermögen von 10.000 Euro. Sarah macht bei David ihren Pflichtteil geltend.

Der Pflichtteilsanspruch beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, hier 2.500 Euro. Hinzu kommt der Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen Schenkungen. Die Schenkungen von 100.000 Euro werden dem Nachlass gedanklich hinzugerechnet. Sie lösen einen Pflichtteilsergänzungsanspruch von 25.000 Euro aus. Hiervon abzuziehen ist die an Sarah gezahlte Schenkung, so dass 5.000 Euro Pflichtteilsergänzung verbleiben. Sarah erhält 7.500 Euro von David.

Ausgleichung beim Pflichtteilsanspruch

In bestimmten Fällen kann eine sogenannte Ausgleichung von Zuwendungen erfolgen. Durch die Ausgleichung sollen Ungleichbehandlungen der Kinder zu Lebzeiten bei der Berechnung der Erb- und Pflichtteile berücksichtigt werden. Dies geschieht, indem sie zunächst dem Nachlass hinzugerechnet und dann vom gesetzlichen Erbteil abgezogen werden:

Beispiel:

Die verwitwete Erblasserin hat zwei Kinder, David und Sarah. Sie spendierte ihrer Tochter Sarah als Ausstattung für die Wohnung eine teure Küche für 10.000 Euro. David erhielt keine Zuwendung. Nachdem sich das Verhältnis zwischen der Erblasserin und Sarah abkühlte, setzte sie David durch ein Testament zum Alleinerben ein.

Die Erblasserin hinterlässt ein Vermögen von 100.000 Euro. Sarah macht bei David ihren Pflichtteil geltend.

Zunächst wird die erhaltene Ausstattung dem Nachlass hinzugerechnet. Von dieser Summe 110.000 Euro beträgt der theoretische Erbteil 1/2 von Sarah 55.000 Euro. Davon ist die schon erhaltene Ausstattung abzuziehen, so dass 45.000 Euro verbleiben. Ihr Pflichtteil – Hälfte des gesetzlichen Erbteils – beträgt somit nach Ausgleichung 22.500 Euro.

Die Ausgleichung findet nur zwischen mehreren Abkömmlingen statt, also beispielsweise nicht, wenn an gesetzlichen Erben nur ein Ehegatte und ein Kind vorhanden sind.

Außerdem ist die Ausgleichung auf besondere Zuwendungen beschränkt:

  • Ausstattungen, es sei denn, der Erblasser hat bei der Zuwendung angeordnet, dass sie nicht zur Ausgleichung zu bringen sind,
  • Zuschüsse zum Lebensunterhalt und zur Berufsausbildung, nur soweit sie das den Vermögensverhältnissen des Erblassers entsprechende Maß übersteigen,
  • Sonstige Zuwendungen nur, wenn der Erblasser bei der Zuwendung die Ausgleichung angeordnet hat.

Anrechnung und Ausgleichung dürfen nicht kombiniert werden, es ist also entweder anzurechnen oder auszugleichen.

Nach oben scrollen