Pflichtteilsverjährung: Abwarten ist gefährlich

Der Pflichtteilsanspruch kann bereits verjähren, obwohl noch nicht alle Erben feststehen. Dies meint das OLG Frankfurt in einer aktuellen Entscheidung.

Im entschiedenen Fall war der Erblasser 2004 verstorben. 2007 standen einige Erben fest, andere nicht. 2008 leitete die pflichtteilsberechtigte Klägerin ein Schiedsverfahren gegen diejenigen Erben ein, die feststanden – die Beklagten. Die Anträge des Schiedsverfahrens wurden den Beklagten auch 2008 zugestellt. Das Verfahren ging später in ein Klageverfahren über, in dem die Beklagten die Einrede der Verjährung erhoben.

§ 211 BGB (Ablaufhemmung in Nachlassfällen) lautet:

„Die Verjährung eines Anspruchs, der zu einem Nachlass gehört oder sich gegen einen Nachlass richtet, tritt nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in dem die Erbschaft von dem Erben angenommen oder das Insolvenzverfahren über den Nachlass eröffnet wird oder von dem an der Anspruch von einem oder gegen einen Vertreter geltend gemacht werden kann. Ist die Verjährungsfrist kürzer als sechs Monate, so tritt der für die Verjährung bestimmte Zeitraum an die Stelle der sechs Monate.“

Das OLG Frankfurt entschied (Urteil vom 03.09.2013, Az. 15 U 92/12):

Zwar waren das Klageverfahren und – gemäß § 204 Nr. 11 BGB – auch das Schiedsverfahren geeignet, die Verjährung zu hemmen. Diese Hemmung kam jedoch zu spät, weil der Pflichtteilsanspruch gegenüber den Beklagten 2008 bereits verjährt war.

§ 211 BGB gilt nur im Verhältnis zu dem jeweils in Anspruch genommenen Erben. Stehen einzelne Erben noch nicht fest, hemmt dies nicht die Verjährung gegenüber den Erben, die das Erbe bereits angenommen haben. Der Pflichtteilsanspruch kann also gegenüber den bekannten Erben bereits verjähren, obwohl noch nicht alle Erben bekannt sind.

Das OLG Frankfurt setzt sich damit von der bisher in der Literatur herrschenden Meinung ab, die davon ausgeht, dass die Verjährungshemmung nach § 211 BGB für alle Erben einheitlich endet. In den Urteilsgründen wird dazu ausgeführt:

„Bereits der Wortlaut („von dem Erben“) deutet in diese Richtung. Wenn der Gesetzgeber einen Beginn der Sechsmonatsfrist erst mit der Annahme der Erbschaft durch sämtliche Erben gewollt hätte, hätte es nahegelegen, eine andere Formulierung (etwa: „[…] von dem oder im Falle mehrerer Erben von sämtlichen Erben […]“) zu wählen (vgl. in diesem Zusammenhang die Regelung des § 359 Abs. 2 FamFG, die freilich zu den hier relevanten Zeitpunkten noch nicht in Kraft getreten war). Allerdings ist der Klägerin zuzugeben, dass die Wortlautauslegung keinen eindeutigen Schluss zulässt. Die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten ist in den §§ 1967 bis 2017 BGB und einigen ergänzenden Bestimmungen geregelt. Erst die §§ 2058 bis 2063 enthalten Sondervorschriften für den Fall, dass mehrere Erben vorhanden sind. Wegen dieser Regelungstechnik des BGB kann aus der Verwendung der Wendung „von dem Erben“ nicht zwingend ausgeschlossen werden, dass damit – im Falle mehrerer Erben – „von sämtlichen Erben“ gemeint ist.

Für eine Differenzierung nach den einzelnen Erben sprechen jedoch auch telelogische Gesichtspunkte.

Hält man im Rahmen der ersten Variante des § 211 Satz 1 BGB die Annahme der Erbschaft durch sämtliche Erben für maßgebend, führt dies, wie Peters/Jacoby, a. a. O., für Ansprüche des Nachlasses auch konzedieren, zu einer nicht gerechtfertigten Ausuferung des Hemmungszeitraums (vgl. – freilich in einem anderen Zusammenhang – BGH, Urteil vom 16.01.2013 – IV ZR 232/12, NJW 2013, 1086, 1087). Dieser Gedanke ist sowohl bei Ansprüchen des Nachlasses als auch bei Ansprüchen gegen den Nachlass tragfähig und entscheidend. Auch der Zweck des § 211 Satz 1 BGB steht dem nicht entgegen. Die Tatbestände der §§ 206, 210 und 211 BGB regeln drei denkbare Störungen im Ablauf der Verjährungsfristen. Ihnen gemeinsam ist dabei der Gedanke, der Gläubiger sei in den Fällen schützenswert, in denen er ohne jegliches eigenes Zutun an der Geltendmachung seines Anspruchs gehindert ist (vgl. Amend, JuS 2002, 743, 745). Dieser Gesetzeszweck verlangt jedoch keine Auslegung der ersten Variante des § 211 Satz 1 BGB im Sinne der vorherrschenden Auffassung in der Literatur. Es ist nämlich nicht ersichtlich, warum es insoweit nicht ausreichend sein soll, im Falle mehrerer Erben auf die Annahme der Erbschaft durch den Miterben abzustellen, der im Einzelfall in Anspruch genommen werden soll.

Die gegenteilige Auffassung kann gerade bei einer größeren Anzahl von Miterben dazu führen, dass ein Miterbe, der die Erbschaft umgehend angenommen hat, sich nicht erfolgreich mit der Erhebung der Verjährungseinrede gegen eine erst viele Jahre später erfolgte Inanspruchnahme wegen einer Nachlassverbindlichkeit wehren kann, wenn nur einer seiner Miterben erst zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt die Erbschaft angenommen hat. Dies kann nicht richtig sein.

Zudem sprechen in gesetzessystematischer Perspektive auch die Regelungen der §§ 2058, 425 Abs. 2 BGB dafür, im Rahmen der ersten Variante des § 211 Satz 1 BGB auf den Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft durch den jeweils in Anspruch genommenen Erben abzustellen.

Die Erben haften gemäß § 2058 für die gemeinschaftlichen Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldner. Nach § 425 Abs. 2 BGB ist die Verjährung und deren „Neubeginn, Hemmung und Ablaufhemmung“ für jeden Gesamtschuldner gesondert zu betrachten (sog. Einzelwirkung). Der Eintritt der Verjährung sowie deren Hemmung (§§ 203 ff. BGB), Ablaufhemmung (§§ 210 f. BGB) oder Neubeginn (§ 212 BGB) gestalten sich also nach den persönlichen Verhältnissen der einzelnen Gesamtschuldner verschieden (s. Bydlinski, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 425, Rdnr. 22). Dies kann etwa zur Folge haben, dass Pflichtteilsansprüche gegen verschiedene Miterben zu unterschiedlichen Zeitpunkten verjähren (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.10.2011 – I-10 U 36/11, juris; Looschelders, in: Staudinger, BGB – Neubearbeitung 2012, § 425, Rdnr. 56). Es ist kein Grund ersichtlich, warum die durch § 425 Abs. 2 BGB angeordnete Einzelwirkung gerade auch der Ablaufhemmung der Verjährung im Anwendungsbereich der ersten Variante des § 211 Satz 1 BGB durchbrochen werden sollte.

Im Rahmen einer systematischen Auslegung ist nämlich darauf abzustellen, dass einzelne Rechtssätze, die der Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gestellt hat, grundsätzlich so zu interpretieren sind, dass sie logisch miteinander vereinbar sind. Denn es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sachlich Zusammenhängendes so geregelt hat, dass die gesamte Regelung einen durchgehenden, verbindlichen Sinn ergibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.05.1978 – 2 BvR 952/75, BVerfGE 48, 246, 257; Urteil vom 19.03.2003 – 2 BvL 9/98, 2 BvL 10/98, 2 BvL 11/98, 2 BvL 12/98, BVerfGE 108, 1, 29).

Legt man die erste Variante des § 211 Satz 1 BGB im Sinne der in der Literatur vorherrschenden Auffassung aus, so wird die durch § 425 Abs. 2 BGB ausdrücklich auch für die Ablaufhemmung angeordnete Einzelwirkung ausgehebelt, da für einen beträchtlichen Teil der Anwendungsfälle einer Ablaufhemmung gleichsam durch die Hintertür an einen für alle Gesamtschuldner einheitlichen Zeitpunkt angeknüpft wird. Da der Gesetzgeber im Rahmen des am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts durch eine Änderung des § 425 Abs. 2 BGB deutlich gemacht hat, dass auch die Ablaufhemmung Einzelwirkung hat, wäre zu erwarten gewesen, dass er bei dieser Gelegenheit die der ersten Variante des § 211 Satz 1 BGB unterfallenden Fälle davon ausnimmt, wenn er eine Rechtslage hätte herbeiführen wollen, wie sie die vorherrschende Literaturauffassung postuliert. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts auch den dem früheren § 207 BGB entsprechenden § 211 BGB zumindest in sprachlicher Hinsicht verändert hat, so dass davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber bei der angesprochenen Änderung des § 425 Abs. 2 BGB deutlich vor Augen stand, dass die Fälle der ersten Variante des § 211 Satz 1 BGB einer der zentralen Anwendungsfelder der in § 425 Abs. 2 BGB angesprochenen Ablaufhemmung sind.“

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage hat das OLG Frankfurt die Revision zum BGH zugelassen.

(OLG Frankfurt, Urteil vom 03.09.2013, Az. 15 U 92/12)

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