In einem aktuellen Urteil des OLG Hamm (Urteil vom 11.07.2024, Az. 10 U 74/23) wurde ein Fall verhandelt, in dem es um den Rücktritt von einem Erbvertrag wegen angeblich nicht erbrachter Pflegeleistungen ging. Die Entscheidung verdeutlicht, unter welchen Voraussetzungen ein Rücktritt vom Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag möglich ist und wann ein solcher Rücktritt als treuwidrig anzusehen ist.
1. Sachverhalt
Die Kläger hatten in einem notariellen Erbvertrag vom 04.12.2015 zugestimmt, auf ihre Pflichtteilsansprüche zu verzichten und stattdessen als Schlusserben eingesetzt zu werden. Im Gegenzug verpflichteten sie sich, den Erblasser und dessen Ehefrau im Bedarfsfall zu betreuen und zu pflegen. Der Erblasser zog später zu seiner Tochter (der Beklagten) und verhinderte die Kontaktaufnahme der Kläger, indem er persönliche Treffen nur unter bestimmten Bedingungen erlaubte, die die Pflege de facto unmöglich machten. In der Folge erklärte der Erblasser mehrfach seinen Rücktritt vom Erbvertrag und setzte die Beklagte als Alleinerbin ein.
2. Gerichtliche Beurteilung des Rücktritts
Das OLG Hamm stellte fest, dass der Rücktritt des Erblassers vom Erbvertrag unwirksam war. Entscheidend war, dass die Kläger bereit gewesen waren, ihre Pflegeverpflichtungen zu erfüllen, dies ihnen jedoch durch das Verhalten des Erblassers und der Beklagten unmöglich gemacht wurde. Der Rücktritt stellte nach Ansicht des Gerichts eine unzulässige Rechtsausübung gemäß § 242 BGB dar.
a) Unmöglichkeit der Kontaktaufnahme
Der Erblasser hatte den Kontakt zu den Klägern bewusst unterbunden, indem er Treffen nur in Begleitung der Beklagten oder seines Rechtsanwalts zugelassen hatte. Damit wurde die Erbringung der im Erbvertrag vereinbarten Pflegeleistungen unmöglich gemacht, was eine treuwidrige Handlung im Sinne des § 162 Abs. 2 BGB darstellt.
b) Unwirksamer Rücktritt
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Rücktritt auch deshalb unwirksam war, weil der Erblasser die Voraussetzungen für das Rücktrittsrecht selbst herbeigeführt hatte. Die Beklagte hatte die Isolation des Erblassers organisiert und die Kontaktaufnahme systematisch verhindert, wodurch die Kläger ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllen konnten.
3. Treuwidrigkeit des Rücktritts
Die Berufung auf das vertraglich eingeräumte Rücktrittsrecht war in diesem Fall als treuwidrig anzusehen, da die Kläger durch das Verhalten des Erblassers und der Beklagten gehindert waren, ihre Pflegeverpflichtungen zu erfüllen. Das Gericht betonte, dass sich niemand auf die eigenen treuwidrigen Handlungen berufen könne, um daraus rechtliche Vorteile zu ziehen.
Fortbestehen des Pflegeanspruchs
Auch nach dem Tod der Ehefrau des Erblassers bestand ein Anspruch auf die Erfüllung der Pflegeleistungen seitens der Kläger. Das Rücktrittsrecht, das den Erblassern im Erbvertrag zugestanden worden war, erlosch nicht mit dem Tod der Ehefrau.
4. Bedeutung für die Praxis
Dieses Urteil verdeutlicht die hohe Bedeutung von Treu und Glauben bei der Durchsetzung von Ansprüchen aus Erbverträgen. Rücktrittsrechte können nur dann ausgeübt werden, wenn die Vertragsverletzung nicht durch das Verhalten desjenigen, der sich auf das Rücktrittsrecht beruft, selbst verursacht wurde. Bei Pflegeverpflichtungen, die in einem Erbvertrag vereinbart wurden, müssen die Umstände, die eine Nichterfüllung der Pflege rechtfertigen, genau geprüft werden.
5. Fazit und Unterstützung durch unsere Kanzlei
Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt, dass Pflegeverpflichtungen im Rahmen von Erbverträgen einer detaillierten Prüfung unterzogen werden müssen, insbesondere wenn ein Rücktritt vom Vertrag im Raum steht. Unsere Kanzlei unterstützt Sie bei der rechtlichen Absicherung solcher Vereinbarungen und vertritt Ihre Interessen, wenn es zu Streitigkeiten über die Erfüllung von Pflegeverpflichtungen und Erbverträgen kommt.