Das Oberlandesgericht Celle (Beschluss vom 12.11.2024 – 6 W 132/24) entschied, dass die Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Schlusserben des erstversterbenden Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament im Zweifel wechselbezüglich zur Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten ist. Eine spätere Änderung durch den überlebenden Ehegatten ist daher nur zulässig, wenn das Testament ausdrücklich eine entsprechende Änderungsbefugnis vorsieht.
Der Fall: Streit um die Erbfolge nach gemeinschaftlichem Testament
Ein Ehepaar hatte im Jahr 1975 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin setzten sie sich gegenseitig als Erben und ihre vier gemeinsamen Kinder als „Nacherben“ des erstversterbenden Ehegatten ein. Der überlebende Ehegatte sollte über den Nachlass „frei und unbeschränkt“ verfügen können.
Nach dem Tod ihres Ehemannes änderte die Erblasserin die Erbfolge in einem neuen Testament von 2017. Darin setzte sie nur zwei ihrer vier Kinder als Erben ein, während sie die anderen beiden enterbte, weil diese den Kontakt zu ihr abgebrochen hätten.
Nach ihrem Tod beantragten die beiden im Testament von 2017 bedachten Kinder einen Erbschein. Die enterbten Geschwister legten jedoch Beschwerde ein und argumentierten, dass ihre Mutter an das gemeinschaftliche Testament von 1975 gebunden gewesen sei und die Schlusserbenstellung nicht mehr habe ändern dürfen.
Das Nachlassgericht erteilte zunächst den Erbschein nach dem Testament von 2017 und verneinte eine Wechselbezüglichkeit der Schlusserbenstellung. Hiergegen richtete sich die Beschwerde der beiden enterbten Kinder.
Die Entscheidung des OLG Celle: Bindungswirkung durch Wechselbezüglichkeit
Das OLG Celle gab den enterbten Geschwistern Recht und stellte fest, dass die Schlusserbenstellung in dem gemeinschaftlichen Testament von 1975 wechselbezüglich zur Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten war.
1. Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung gemeinsamer Kinder
📌 Grundsatz aus § 2270 BGB:
- Wechselbezüglich sind Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament, bei denen davon auszugehen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre.
- Nach § 2270 Abs. 2 BGB gilt eine gesetzliche Vermutung der Wechselbezüglichkeit, wenn der überlebende Ehegatte durch den Erstversterbenden bedacht wurde und seinerseits dessen Verwandte als Nacherben eingesetzt hat.
📌 Das OLG Celle stellte klar:
- Die Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder war wechselbezüglich zur Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten.
- Da keine Anhaltspunkte für einen Änderungsvorbehalt bestanden, war die Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemannes an die getroffene Erbregelung gebunden.
- Die Formulierung, dass der überlebende Ehegatte „frei und unbeschränkt“ über den Nachlass verfügen könne, bezieht sich nur auf lebzeitige Verfügungen (§ 2286 BGB), nicht aber auf eine Befugnis zur Änderung der Nacherbenregelung.
✅ Ergebnis: Die nachträgliche Änderung der Erbfolge durch das Testament von 2017 war unwirksam, da sie die bindende Schlusserbenstellung aus dem Testament von 1975 verletzte.
2. Keine Ausnahme durch Änderungsvorbehalt
📌 Fehlender Änderungsvorbehalt:
- In gemeinschaftlichen Testamenten können Ehegatten sich ein Änderungsrecht vorbehalten. Dies war hier jedoch nicht der Fall.
- Die Erblasserin hätte das gemeinschaftliche Testament nach dem Tod ihres Ehemannes nur durch Erbausschlagung (§ 2271 Abs. 2 BGB) aufheben können – was sie nicht tat.
✅ Ergebnis: Ohne einen Änderungsvorbehalt konnte die Erblasserin ihre Kinder nicht nachträglich enterben.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Wechselbezüglichkeit in gemeinschaftlichen Testamenten und zeigt, welche Fallstricke bei späteren Änderungen bestehen:
✅ Die Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder ist im Zweifel bindend – es sei denn, das Testament enthält einen ausdrücklichen Änderungsvorbehalt.
✅ Formulierungen wie „frei und unbeschränkt verfügen“ berechtigen den überlebenden Ehegatten nicht ohne weiteres, die Schlusserbenstellung nachträglich zu ändern.
Unsere Kanzlei berät Sie umfassend zur Gestaltung gemeinschaftlicher Testamente, zur Vermeidung von Erbstreitigkeiten und zur rechtlichen Absicherung Ihrer Nachlassregelungen. Kontaktieren Sie uns für eine individuelle Beratung!