Die Frage, ob im Erbscheinsverfahren der Rechtspfleger oder der Richter zuständig ist, wird durch verschiedene gesetzliche Regelungen und die konkrete Verfahrenslage beeinflusst. In zwei aktuellen Entscheidungen – des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm und des OLG Oldenburg – wurden wichtige Grundsätze zur funktionellen Zuständigkeit in Erbscheinsverfahren festgelegt.
1. Entscheidung des OLG Hamm
Das OLG Hamm (Beschluss vom 28.02.2024, Aktenzeichen: 10 W 115/23) befasste sich mit einem Fall, bei dem der Rechtspfleger einen Erbscheinsantrag zurückwies, weil Einwände gegen die Gültigkeit eines privatschriftlichen Testaments erhoben wurden. Der Fall drehte sich um die Frage, ob der Rechtspfleger zuständig war, über den Erbscheinsantrag zu entscheiden, oder ob die Sache einem Richter vorgelegt werden musste.
a) Grundsatz der funktionellen Zuständigkeit
Gemäß § 3 Nr. 2 c) des Rechtspflegergesetzes (RPflG) ist der Rechtspfleger grundsätzlich für Entscheidungen über Erbscheine zuständig, wenn es sich um unstreitige Verfahren handelt. Sobald jedoch Einwände erhoben werden, greift der sogenannte Richtervorbehalt. Nach § 19 Abs. 2 RPflG ist der Rechtspfleger verpflichtet, das Verfahren dem Richter vorzulegen, wenn gegen den Erlass einer Entscheidung Einwände erhoben werden.
Im Fall des OLG Hamm erhob eine der Beteiligten Bedenken gegen die Gültigkeit des Testaments, da die Unterschrift des Erblassers nicht eindeutig erkennbar war. Das OLG entschied, dass der Rechtspfleger in diesem Fall die Sache dem Richter hätte vorlegen müssen. Da Einwände erhoben wurden, war der Rechtspfleger funktionell unzuständig.
b) Entscheidung und Folgen
Das OLG Hamm hob die Entscheidung des Rechtspflegers auf und verwies die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung an den zuständigen Richter. Diese Entscheidung verdeutlicht, dass der Rechtspfleger nur in unstreitigen Fällen die Erteilung von Erbscheinen übernehmen darf. Sobald Einwände vorliegen, muss das Verfahren an einen Richter weitergegeben werden.
2. Entscheidung des OLG Oldenburg
Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 21.08.2024, Aktenzeichen: 3 W 53/24) bestätigte diese Grundsätze und führte sie weiter aus. In diesem Fall gab es Uneinigkeit über die Auslegung eines handschriftlichen Dokuments, das als Testament des Erblassers angesehen wurde. Der Nachlassrechtspfleger vertrat eine andere Auffassung als die Antragsteller und wies den Erbscheinsantrag zurück, ohne die Sache einem Richter vorzulegen.
a) Einwände des Nachlassrechtspflegers
Das OLG Oldenburg stellte klar, dass nicht nur Einwände der Verfahrensbeteiligten zur Vorlagepflicht an den Richter führen können, sondern auch Einwände des Nachlassrechtspflegers selbst. Wenn der Rechtspfleger selbst Zweifel an der Richtigkeit des Erbscheinsantrags hat und deshalb die Entscheidung nicht erlassen kann, muss das Verfahren dem Nachlassrichter vorgelegt werden. Der Rechtspfleger darf in solchen Fällen keine eigenständige Entscheidung treffen.
b) Analoge Anwendung des § 19 Abs. 2 RPflG
Die Entscheidung des OLG Oldenburg verdeutlicht, dass § 19 Abs. 2 RPflG auch dann analog anzuwenden ist, wenn der Nachlassrechtspfleger allein Einwände erhebt. Dieser Ansatz schließt eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz, da die funktionale Zuständigkeit des Nachlassrichters in Fällen sicherzustellen ist, in denen der Rechtspfleger an einer antragsgemäßen Entscheidung gehindert ist.
Fazit
Die Entscheidungen des OLG Hamm und des OLG Oldenburg zeigen, dass der Rechtspfleger nur in unstreitigen Erbscheinsverfahren die alleinige Zuständigkeit hat. Sobald Einwände erhoben werden, sei es von den Verfahrensbeteiligten oder vom Rechtspfleger selbst, muss das Verfahren dem zuständigen Nachlassrichter zur Entscheidung vorgelegt werden. Dies dient der Sicherstellung einer fairen und gründlichen Überprüfung der Erbscheinsanträge. Denn Erbscheinen kommt eine weitreichende Wirkung zu.