OLG Karlsruhe zum Unterschied zwischen Vorerbschaft und Nießbrauchsvermächtnis

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 24. Oktober 2024 von Tobias Goldkamp

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 1. Oktober 2024 die Frage behandelt, ob die Erblasserin eine Vor- und Nacherbschaft oder lediglich ein Nießbrauchsvermächtnis angeordnet hatte (Az. 14 U 144/23). Welche Rechte und Pflichten ergeben sich bei einer Vor- und Nacherbschaft, und was bedeutet ein Nießbrauchsvermächtnis?

Der Fall: Vor- und Nacherbschaft oder Nießbrauch?

Die Klägerin, eine Nichte der Erblasserin, vertrat die Auffassung, dass die Erblasserin im Testament eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet habe, um das Vermögen dauerhaft in der Familie zu halten. Der Beklagte, der Ehemann der Erblasserin, wurde im Testament als Nutznießer des Vermögens benannt, was nach Ansicht der Klägerin auf eine Vorerbschaft hindeutete. Das Gericht musste klären, ob es sich bei der Einsetzung des Beklagten um eine Vorerbschaft oder lediglich um ein Nießbrauchsvermächtnis handelte.

Entscheidung des Gerichts

Das OLG Karlsruhe entschied, dass die Erblasserin keine Vor- und Nacherbschaft angeordnet, sondern dem Beklagten ein Nießbrauchsvermächtnis eingeräumt hatte. Dabei wies das Gericht darauf hin, dass der Wortlaut des Testaments sowie die Zielsetzung der Erblasserin eindeutig für ein Nießbrauchsvermächtnis sprachen. In dem Testament hieß es:

„Ich […] vermache im Falle meines Todes meinem Lebensgefährten […] solange er lebt Nutzungsrecht über mein Vermögen.“

Die Erblasserin hatte also dem Beklagten das Nutzungsrecht an ihrem Vermögen eingeräumt, was für die Absicherung des Beklagten im Sinne eines Nießbrauchs ausreichte. Eine weitergehende dingliche Befugnis, die für eine Vor- und Nacherbschaft typisch wäre, war nicht erkennbar.

Auslegung

Bei der Auslegung von Testamenten ist entscheidend, ob der Erblasser wirklich eine Vor- und Nacherbschaft anordnen wollte oder lediglich die wirtschaftliche Nutzung des Vermögens für eine bestimmte Person beabsichtigte. Ein Nießbrauchsvermächtnis gibt dem Begünstigten das Recht, das Vermögen zu nutzen, ohne jedoch Eigentümer des Vermögens zu werden. Die Eigentumsrechte verbleiben in der Erbengemeinschaft oder bei den Nacherben, falls eine solche Anordnung getroffen wurde.

Vor- und Nacherbschaft und Erbschaftsteuer

Bei einer Vor- und Nacherbschaft fällt die Erbschaftsteuer zweimal an – einmal beim Vorerben und ein weiteres Mal beim Nacherben, wenn der Nacherbfall eintritt (meistens mit dem Tod des Vorerben). Dies führt zu einer zusätzlichen steuerlichen Belastung des Nachlasses, da der Vermögensübergang zweimal besteuert wird. Der Vorerbe kann zwar das Vermögen nutzen, darf es jedoch nicht veräußern oder verschenken, da das Eigentum nach seinem Tod an den Nacherben übergeht.

Steuerliche Folgen einer Vor- und Nacherbschaft:

  • Der Vorerbe zahlt beim Erbfall die Erbschaftsteuer auf den vollen Nachlass.
  • Beim Eintritt des Nacherbfalls muss der Nacherbe erneut Erbschaftsteuer auf den Teil des Vermögens zahlen, den er vom Vorerben erhält.
  • Dies kann zu einer erheblichen doppelten Steuerlast führen, da dieselbe Vermögenssubstanz mehrfach besteuert wird.

Nießbrauch und Erbschaftsteuer

Im Gegensatz zur Vor- und Nacherbschaft hat ein Nießbrauchsvermächtnis erbschaftsteuerlich oft vorteilhaftere Folgen. Beim Nießbrauchsvermächtnis bleibt der Nießbrauchsberechtigte (z.B. der Lebenspartner des Erblassers) zwar nicht Eigentümer des Vermögens, sondern erhält lediglich das Recht, die Nutzungen des Vermögens (z.B. Mieteinnahmen) zu beziehen. Der eigentliche Eigentümer – oft die Erben – bleiben hingegen sofortiger Eigentümer des Vermögens.

Steuerliche Folgen eines Nießbrauchsvermächtnisses:

  • Der Nießbrauchsberechtigte zahlt Erbschaftsteuer nur auf den kapitalisierten Wert des Nießbrauchsrechts, der geringer ist als der volle Wert des Vermögens.
  • Die Eigentümer des Vermögens, z.B. die Erben, zahlen Erbschaftsteuer auf den vollen Vermögenswert, sind jedoch nicht sofort in vollem Umfang wirtschaftlich belastet, da sie das Vermögen erst nach Erlöschen des Nießbrauchs (z.B. nach dem Tod des Nießbrauchsberechtigten) nutzen können.
  • Es erfolgt keine doppelte Steuerbelastung, da nach dem Tod des Nießbrauchers keine weitere Erbschaftsteuer auf den Übergang des Eigentums anfällt.

Entscheidung des Gerichts und Steuerliche Implikationen

Das OLG Karlsruhe entschied, dass die Erblasserin kein Vor- und Nacherbschaftsmodell gewählt hatte, sondern dem Beklagten lediglich ein Nießbrauchsvermächtnis eingeräumt wurde. Damit fiel die doppelte Erbschaftsteuerlast, die bei einer Vor- und Nacherbschaft üblich wäre, weg. Die Erben der Erblasserin, die als gesetzliche Erben eingetreten sind, tragen nur die einmalige Erbschaftsteuer, während der Beklagte als Nießbrauchsberechtigter lediglich auf den Wert des Nießbrauchsrechts besteuert wird.

Steueroptimierung durch Nießbrauchsvermächtnis

Durch die Entscheidung zugunsten des Nießbrauchsvermächtnisses konnte ein erneuter Erbschaftsteueranfall vermieden werden. Dies ist ein häufiges Ziel von Erblassern, die die steuerlichen Belastungen ihrer Erben möglichst gering halten wollen. Im Unterschied zur Vor- und Nacherbschaft ist der Nießbrauch eine effektive Möglichkeit, die Vermögensnutzung einem Dritten zu überlassen, ohne das Eigentum vollständig aus der Familie zu geben und gleichzeitig die Steuerlast zu minimieren.

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Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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