OLG Naumburg: Auslegung eines Ehegattentestaments mit Katastrophenklausel

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 3. März 2025 von Tobias Goldkamp

Ein gemeinschaftliches Testament von Ehegatten kann Regelungen für verschiedene Erbfälle enthalten. Das OLG Naumburg (Beschluss vom 25.09.2024 – 2 Wx 58/23) entschied, dass auch bei einer sogenannten Katastrophenklausel das Testament nicht allein auf einen gemeinsamen Tod der Eheleute beschränkt sein muss. Vielmehr können darin auch Regelungen für den Normalfall des zeitlich versetzten Versterbens getroffen worden sein.

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Der Fall: Streit um die Erbfolge nach gemeinschaftlichem Testament

Die Eheleute hatten ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt hatten. Zudem enthielt das Testament eine Katastrophenklausel, die für den Fall des gleichzeitigen Todes oder einer schweren Erkrankung des überlebenden Ehegatten spezielle Erbregelungen vorsah.

Nach dem Tod des zweiten Ehegatten beantragte ein Miterbe die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins. Das Nachlassgericht lehnte dies ab, weil es das Testament nicht als Regelung für den tatsächlich eingetretenen Fall des zeitlich versetzten Versterbens ansah. Es ging daher von gesetzlicher Erbfolge aus.

Die Beschwerde gegen diese Entscheidung hatte Erfolg.

Die Entscheidung des OLG Naumburg: Testament regelt auch den Normalfall

Das Oberlandesgericht hob den Beschluss des Nachlassgerichts auf und stellte klar, dass das Testament auch für den normalen Fall des zeitlich versetzten Versterbens gelten sollte.

1. Testament muss nach dem wirklichen Erblasserwillen ausgelegt werden

Gemäß §§ 133, 2084 BGB muss ein Testament so ausgelegt werden, dass der wirkliche Wille des Erblassers zur Geltung kommt. Die Auslegung darf sich nicht nur auf den Wortlaut beschränken, sondern muss eine Gesamtbetrachtung der Umstände berücksichtigen.

📌 Das OLG stellte klar:

  • Die Testierenden hatten nicht nur den Katastrophenfall bedacht, sondern auch ausführliche Regelungen für den zweiten Erbfall getroffen.
  • Die detaillierten Bestimmungen zur Schlusserbeneinsetzung und Pflichtteilsstrafklausel zeigten, dass das Testament für alle Erbfälle gelten sollte.
  • Die Einsetzung von Miterben mit klar geregelten Anteilen war kein Hinweis auf eine Beschränkung auf den Katastrophenfall, sondern Ausdruck des generellen Erblasserwillens.

2. Die Katastrophenklausel war nicht als Bedingung zu verstehen

Das Nachlassgericht hatte die Katastrophenklausel als zwingende Voraussetzung für die Erbeinsetzung interpretiert. Das OLG sah das anders:

Die Klausel war eine Ergänzung, keine Bedingung.
Die Schlusserbeneinsetzung galt unabhängig davon, ob der Katastrophenfall eintrat oder nicht.
Regelungen zum Wohnrecht und Vermächtnisse wären sinnlos, wenn sie nur für den Katastrophenfall gelten sollten.

3. Pflichtteilsstrafklausel bestätigt die allgemeine Anwendbarkeit

Besonders stark für eine generelle Erbregelung sprach die Pflichtteilsstrafklausel. Diese bestimmte, dass ein Erbe, der nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil verlangt, auch im zweiten Erbfall enterbt wird.

📌 Das OLG betonte:

  • Eine solche Klausel macht nur Sinn, wenn sie auch für den Normalfall gilt.
  • Sie wäre überflüssig, wenn das Testament nur für den Katastrophenfall gegolten hätte.
  • Die Testierenden wollten erkennbar eine langfristige Regelung für die gesamte Erbfolge treffen.

Abweichende Entscheidung des OLG Jena

Interessanterweise kam das OLG Jena (Beschluss vom 23.02.2015 – 6 W 516/14) in einem ähnlichen Fall zu einem gegenteiligen Ergebnis. Dort hatten die Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament bestimmt, dass ihre Kinder im Falle ihres gleichzeitigen Todes Erben sein sollten. Nach dem Tod des Erstversterbenden errichtete der überlebende Ehegatte jedoch ein neues Testament mit einer veränderten Erbfolge. Die Frage war, ob die ursprüngliche Klausel eine bindende Schlusserbeneinsetzung enthielt.

📌 Das OLG Jena entschied:

  • Die Katastrophenklausel sei keine bindende Schlusserbeneinsetzung, sondern gelte nur für den Fall des gleichzeitigen Versterbens.
  • Der überlebende Ehegatte habe daher weiterhin freie Testierfreiheit.
  • Ohne klare Hinweise im Testament auf eine Wechselbezüglichkeit sei der länger lebende Ehegatte nicht gebunden.

Warum kamen die Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen?

Der Hauptunterschied zwischen den beiden Fällen liegt in der konkreten Formulierung und dem Kontext der Katastrophenklausel:
OLG Naumburg: Die Klausel war Teil eines umfassenden Testaments, das eine vollständige Regelung der Erbfolge enthielt. Durch die Kombination mit weiteren Klauseln (z. B. Pflichtteilsstrafklausel) wurde deutlich, dass der Erblasser eine langfristige Regelung für alle Erbfälle treffen wollte.
OLG Jena: Die Klausel war isoliert auf den gleichzeitigen Tod der Eheleute bezogen, ohne zusätzliche Hinweise darauf, dass sie auch für den Fall des zeitlich versetzten Versterbens gelten sollte. Daher wurde dem überlebenden Ehegatten freie Testierfreiheit zugestanden.

Fazit: Bedeutung für die Praxis

Die unterschiedliche Rechtsprechung zeigt, dass Nachlassgerichte Testamente umfassend auslegen müssen. Eine Katastrophenklausel bedeutet nicht automatisch, dass das Testament nur für diesen Fall gelten soll. Je nach Formulierung kann sie eine bindende Schlusserbeneinsetzung sein – oder nur eine Regelung für den Sonderfall.

Testamente müssen als Ganzes betrachtet werden – nicht nur einzelne Formulierungen.
Pflichtteilsstrafklauseln deuten auf eine langfristige Regelung hin.
Erblasser sollten ihre Absichten so eindeutig wie möglich formulieren, um Streit zu vermeiden.

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Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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