Häufig bestimmen Eltern, dass ein Kind auch nach dem längerlebenden Ehegatten enterbt wird, wenn es nach dem zuerst versterbenden Ehegatten den Pflichtteil beansprucht. Doch eine solche Pflichtteilsstrafklausel greift nicht, wenn der Pflichtteil nach dem zuerst versterbenden Ehegatten erst beansprucht wird, nachdem der längerlebende Ehegatte ebenfalls verstorben ist.
Bei einer Pflichtteilsstrafklausel führt ein Pflichtteilsverlangen auf den Tod des Zuerststerbenden nur bis zum Tod des Letztversterbenden zum Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge, entschied das OLG Stuttgart mit Beschluss vom 11. August 2017 – Aktenzeichen 8 W 336/15.
Ein Ehepaar mit zwei Kindern schloss beim Notar einen Erbvertrag, der u.a. folgende Regelungen enthielt:
„5.
Wir setzen uns gegenseitig für alle Fälle als Alleinerben ein.
6.
Der Zuerststerbende wendet jedem Abkömmling ein Geldvermächtnis in Höhe des Werts des gesetzlichen Erbteils unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflicht zu.
Das Vermächtnis fällt sofort an, es ist jedoch erst mit dem Tode des Überlebenden zahlungsfällig und bis dahin unverzinslich. Zum Zwecke der Feststellung der Höhe des Vermächtnisses ist der Überlebende auf Verlangen eines Vermächtnisnehmers oder des Vormundschaftsgerichts verpflichtet, den Nachlass des Zuerstverstorbenen zu verzeichnen.
7.
Verlangt ein Abkömmling auf den Tod des Zuerststerbenden unter Ausschlagung des Vermächtnisses den Pflichtteil, dann ist er und seine Abkömmlinge von der Erbfolge am Überlebenden ausgeschlossen. Diese Verfügung kann der Überlebende einseitig widerrufen. Sie gilt nur, wenn neben dem das Vermächtnis ausschlagenden Abkömmling weitere Abkömmlinge vorhanden sind.“
Nachdem zunächst der Vater und dann die Mutter verstarben, stritten Sohn und Tochter darüber, ob die Tochter nach der Mutter enterbt ist, weil sie den Pflichtteil nach dem Vater beansprucht habe.
Das Gericht entschied, dass beide Kinder Erben zu je 1/2 geworden seien.
Die Tochter sei u.a. deswegen nicht enterbt, weil sie erst nach dem Tod der Mutter den Pflichtteil nach dem Vater verlangte, nicht etwa noch zu Lebzeiten der Mutter.
Die Pflichtteilsstrafklausel sei eine aufschiebend bedingte Enterbung. Eine aufschiebend bedingte Enterbung könne nur greifen, wenn die Bedingung bis zum Erbfall eintritt, da zum Zeitpunkt des Erbfalls die gesetzliche Erbfolge feststehen müsse.
Zudem sei der Sinn und Zweck der Pflichtteilsstrafklausel zu beachten. Sie solle sicher stellen, dass der länger lebende Ehegatte den Nachlass ungeschmälert und ungestört nutzen kann. Dieser Sinn und Zweck sei nicht beeinträchtigt, wenn der Pflichtteil erst nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten geltend gemacht wird.
Achtung: Genau umgekehrt ist das Ergebnis, wenn die Pflichtteilsstrafklausel als auflösend bedingte Schlusserbeneinsetzung formuliert ist (BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 – IV ZR 298/03). Denn eine auflösende Bedingung kann auch nach dem Erbfall noch ausgelöst werden.