Lebzeitige Verfügungen des Erblassers und der Schutz des bindend eingesetzten Erben

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat in einem Beschluss vom 10. Juli 2024 (Az.: 3 U 14/24) wichtige Klarstellungen zur Verfügungsfreiheit des Erblassers zu Lebzeiten und dem Schutz des Vertragserben getroffen. Diese Entscheidung ist besonders relevant für Erben, die durch vertragsmäßige Verfügung in einem Erbvertrag oder durch wechselbezüglich bindende Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament eingesetzt sind und sich gegen lebzeitige Schenkungen oder Erlassverträge des Erblassers wehren wollen.

Hintergrund des Falls

Die Parteien des Verfahrens sind Geschwister, deren Mutter im Jahr 2022 verstarb. Die Mutter hatte in einem Grundstückskaufvertrag ihrem Sohn (dem Beklagten) den Kaufpreis in monatlichen Raten gestundet. Später, im Jahr 2021, verzichtete sie jedoch auf die noch offenen Raten und erließ diese ihrem Sohn schriftlich. Die Tochter (die Klägerin), die durch Erbvertrag als Alleinerbin eingesetzt wurde, verlangte nach dem Tod der Mutter die Zahlung der noch offenen Raten.

Das Landgericht wies die Klage ab, da die Mutter zu Lebzeiten die Schulden des Sohnes wirksam erlassen habe. Gegen dieses Urteil legte die Tochter Berufung ein, die jedoch vom OLG Oldenburg zurückgewiesen wurde.

Kernaussagen der Entscheidung

  1. Verfügungsfreiheit des Erblassers: Nach § 2286 BGB ist ein Erblasser, der sich durch Erbvertrag gebunden hat, grundsätzlich weiterhin berechtigt, zu Lebzeiten über sein Vermögen frei zu verfügen. Dies umfasst auch die Möglichkeit, Schulden zu erlassen, selbst wenn dies das Vermögen des Vertragserben schmälert.
  2. Missbrauch der Verfügungsfreiheit: Ein Missbrauch dieser Verfügungsfreiheit liegt nur vor, wenn der Erblasser ohne anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse wesentliche Vermögenswerte anderen Personen ohne angemessene Gegenleistung zukommen lässt. Im vorliegenden Fall entschied das Gericht, dass der Erlass der Schulden sittlich billigenswert war, da der Beklagte in finanziellen Schwierigkeiten war und die Erblasserin mit dem Erlass auch ihren Enkeln helfen wollte.
  3. Gesamtabwägung: Das Gericht betonte, dass die Frage des Missbrauchs einer umfassenden Abwägung bedarf, bei der sowohl die Bindung des Erblassers an den Erbvertrag als auch die Gründe für die Benachteiligung des Vertragserben berücksichtigt werden müssen. Die Unterstützung des Sohnes in einer finanziellen Notlage und die familiären Beweggründe der Erblasserin sprachen gegen einen Missbrauch der Verfügungsfreiheit.

Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung des OLG Oldenburg zeigt, dass der Schutz des Vertragserben nach § 2287 BGB nur in Fällen greift, in denen der Erblasser seine Verfügungsfreiheit tatsächlich missbraucht. Erben sollten sich bewusst sein, dass lebzeitige Verfügungen des Erblassers, die auf einem nachvollziehbaren Eigeninteresse beruhen, in der Regel Bestand haben und nicht einfach rückabgewickelt werden können.

Fazit

Für Vertragserben ist es entscheidend, die Beweggründe des Erblassers für lebzeitige Verfügungen genau zu prüfen. Unsere Kanzlei steht Ihnen zur Seite, um Ihre Rechte als Erbe oder Vertragserbe durchzusetzen und Sie bei Auseinandersetzungen um lebzeitige Schenkungen oder Erlassverträge zu unterstützen.

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