Die Testierfähigkeit ist eine der grundlegenden Voraussetzungen, die erfüllt sein muss, damit ein Testament gültig ist. Doch was passiert, wenn Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers bestehen? In solchen Fällen ist eine gründliche Untersuchung erforderlich, um festzustellen, ob der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung tatsächlich testierfähig war. Der folgende Artikel erläutert die Kriterien, die zur Feststellung der Testierunfähigkeit herangezogen werden.
Rechtsgrundlagen der Testierfähigkeit
Nach dem Gesetz gilt jeder, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, grundsätzlich als testierfähig.
Gemäß § 2229 Abs. 4 BGB ist eine Person testierunfähig, wenn sie aufgrund einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder aufgrund einer Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung ihrer Willenserklärung zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Stufen der Beurteilung der Testierfähigkeit
Die Feststellung der Testierunfähigkeit erfolgt in einem zweistufigen Verfahren:
- Diagnostische Ebene: Zunächst wird geprüft, ob eine psychische oder geistige Störung vorlag, die nach dem rechtlichen Krankheitsbegriff des § 2229 Abs. 4 BGB relevant ist. Dabei können Erkrankungen wie Demenzen, schwere Depressionen oder Wahnvorstellungen eine Rolle spielen.
- Psychopathologische Symptomatik: Im zweiten Schritt wird untersucht, ob diese Störung die freie Willensbestimmung des Erblassers tatsächlich beeinträchtigt hat. Hierbei geht es darum, ob die Krankheit so gravierend war, dass sie den Erblasser daran hinderte, seinen Willen frei zu bilden und auszudrücken.
Kriterien zur Feststellung der Testierunfähigkeit
Rechtsprechung und medizinische Praxis entscheiden nach bestimmten Kriterien, ob die Folgen einer Erkrankung zur Testierunfähigkeit führen. Diese umfassen unter anderem:
- Bewusstseins- und Orientierungsstörungen: Wenn der Erblasser nicht in der Lage war, seine Situation oder seine Person korrekt zu erkennen, deutet dies auf eine mögliche Testierunfähigkeit hin.
- Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen: Eine freie Entscheidung ist nur möglich, wenn der Erblasser in der Lage ist, den zugrunde liegenden Sachverhalt zu verstehen und sich an für die Entscheidung relevante Sachverhalte zu erinnern.
- Formale Denkstörungen: Denkstörungen wie Zerfahrenheit oder Ideenflucht können die Entscheidungsfähigkeit des Erblassers beeinträchtigen.
- Wahnvorstellungen und Realitätsverkennungen: Wahnvorstellungen, die den Erblasser daran hindern, die Realität korrekt wahrzunehmen, können die Testierfähigkeit ausschließen.
- Störungen der Affektivität: Emotionale Störungen, wie extreme Manien oder Depressionen, können die Entscheidungsfindung pathologisch beeinflussen.
- Fremdbeeinflussbarkeit: Wenn der Erblasser so stark von Dritten beeinflusst wurde, dass er nicht mehr in der Lage war, frei zu entscheiden, kann dies ebenfalls zur Testierunfähigkeit führen.
Bedeutung für Erben und Testatoren
Im Zweifelsfall kann die Testierfähigkeit durch einen Facharzt für Psychiatrie untersucht werden. Nicht jede leichte Demenz oder sonstige psychische Beeinträchtigung führt gleich zur Testierunfähigkeit. Tests wie der Uhrentest oder der Mini-Mental-Status-Test können Aufschluss darüber geben, wie weit die Erkrankung fortgeschritten ist und welche Auswirkungen sie hat.
Auch nach dem Erbfall ist es in vielen Fällen möglich, aussagekräftige medizinische Unterlagen zu erschließen, aufgrund derer rückblickend die Testierfähigkeit analysiert werden kann.
Lesetipp für Profis, abrufbar über beck-online: Cording, Kriterien zur Feststellung der Testier(un)fähigkeit, ZEV 2010, 115
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