OLG Stuttgart: Pflichtteilsberechtigter kann Kontoauszüge überprüfen

Der Pflichtteilsberechtigte hat nur wenig Gelegenheiten, zu erforschen, was mit dem Vermögen des Erblassers zu Lebzeiten geschah. Ein direkter Auskunftsanspruch besteht nur hinsichtlich des Nachlassbestandes zum Stichtag Todestag und hinsichtlich Schenkungen. Doch über einen Trick kann der Pflichtteilsberechtigte auch Einsicht in die Kontoauszüge und andere Unterlagen nehmen.

Der Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses hinzugezogen wird. Dieses Anwesenheitsrecht, das nicht nur für den Pflichtteilsberechtigten, sondern auch für seinen Rechtsanwalt gilt, umfasst, die Belege und Unterlagen durchzusehen, die der Erbe zur Erstellung des Nachlassverzeichnisses verwendet.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. Januar 2016 – 19 W 78/15 (Zerb 2016, 107):

Leitsätze

1. Besteht der Verdacht, dass ein Erblasser im maßgeblichen Zehn-Jahres-Zeitraum Zuwendungen von seinem Bankkonto oder seinem Depot schenkungsweise an Dritte erbracht hat, so ist der Erbe verpflichtet, von seinem Auskunftsrecht gegenüber der Bank Gebrauch zu machen, um eventuelle Zuwendungsempfänger zu ermitteln.

2. Zu den vom Erben anzustellenden Ermittlungen gehört insbesondere auch die Einsichtnahme in die (vollständigen) Kontoauszüge, Sparbücher oder vergleichbare Bankunterlagen für einen Zehn-Jahres-Zeitraum und die Zusammenstellung der einen bestimmten Betrag übersteigenden Verfügungen über die ermittelten Konten, soweit diesen Schenkungen oder sonstige Zuwendungen zugrunde liegen (könnten).

3. Aufwandsentschädigungen der Banken in Höhe von insgesamt 1.500,00 € sind angesichts des in Rede stehenden Zehn-Jahres-Zeitraums nicht unverhältnismäßig.

Gründe

Das Landgericht ist (LGB 5 f) zutreffend davon ausgegangen, dass der Antrag der Gläubigerin gern. § 888 ZPO zulässig und begründet ist.

1. Was die Zulässigkeit des Antrags betrifft, so ist die Auskunftsverpflichtung nach § 2314 Abs. 1 BGB auf eine unvertretbare Handlung gerichtet, deren Vollstreckung nach § 888 ZPO zu erfolgen hat (vgl. nur OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.1.2014 – 19 W 3/14, Rn 7 bei juris).

2. Zu Recht ist das Landgericht (LGB 5 f) zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Erfüllungseinwand des Schuldners entgegensteht, dass dieser nicht im zumutbaren Umfang Nachforschungen angestellt hat, ob pflichtteilsergänzungsbedürftige Schenkungen der Erblasser in den letzten zehn Jahren erfolgt sind.

a) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es solche gegeben hat, hat das Landgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise darin gesehen, dass die Konten der Erblasser zum Stichtag nahezu keine Guthaben aufgewiesen haben, obwohl die Erblasser unstreitig zumindest monatliche Einkünfte iHv 1.720,00 € hatten und es somit nicht von vorneherein ausgeschlossen
erscheint, dass im Zehn-Jahres-Zeitraum vor ihrem Tod – gegebenenfalls auch nur geringfügige Beträge – verschenkt wurden.

Besteht nun aber — wie vorliegend — der Verdacht, dass ein Erblasser im maßgeblichen Zehn-Jahres-Zeitraum Zuwendungen von seinem Bankkonto (oder seinem Depot) schenkungsweise an Dritte erbracht hat, so ist der Erbe – hier: der Schuldner – verpflichtet, von seinem Auskunftsrecht gegenüber der Bank Gebrauch zu machen, um eventuelle Zuwendungsempfänger zu ermitteln (vgl. Herzog in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2015, § 2314 Rn 29).

Auf die vom Schuldner angebotene Abtretung der Auskunftsansprüche gegen die Banken (GA 200) muss sich die Gläubigerin hierbei nicht verweisen lassen, da § 2314 Abs. 1 BGB eine originäre Auskunftspflicht des Erben vorsieht.

b) Zu den vom Schuldner anzustellenden Ermittlungen gehört insbesondere auch die Einsichtnahme in die (vollständigen) Kontoauszüge, Sparbücher oder vergleichbare Bankunterlagen für einen Zehn-Jahres-Zeitraum und die Zusammenstellung der einen bestimmten Betrag übersteigenden Verfügungen über die ermittelten Konten, soweit diesen Schenkungen oder sonstige Zuwendungen zugrunde liegen (könnten) (OLG Koblenz, Beschl. v. 18.3.2014 — 2 W 495/13, NJW 2014, 1972, 1973).

Selbst wenn man zugunsten des Schuldners unterstellte, dass ihm die Banken im vorliegenden Fall Aufwandsentschädigungen iHv insgesamt 1.500,00 € berechnen würden, wäre dies angesichts des in Rede stehenden Zehn-Jahres-Zeitraums nicht unverhältnismäßig.

c) […]

Der Entscheidung lag folgender vereinfachter Sachverhalt zugrunde: Der Erbe war zur Auskunft über den Nachlassbestand und etwaige Schenkungen verurteilt worden. Der Pflichtteilsberechtigte hatte dabei verlangt, bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses hinzugezogen zu werden. Als der Erbe das Nachlassverzeichnis in Anwesenheit des Pflichtteilsberechtigten und dessen Rechtsanwaltes aufnahm, lagen nicht nicht die vollständigen Kontoauszüge der letzten zehn Lebensjahre des Erblassers vor. Das Landgericht Hechingen hat deshalb das Urteil als nicht erfüllt angesehen und dem Erben ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft angedroht.

Diese Entscheidung hat das OLG Stuttgart mit dem zitierten Beschluss bestätigt. Hieraus folgt:

  • Der Erbe ist bei entsprechenden Anhaltspunkten verpflichtet, Kontoauszüge einzuholen, um zu prüfen, ob der Erblasser in seinen letzten zehn Lebensjahren unentgeltliche oder teilentgeltliche Zuwendungen von seinen Bankkonten oder Depots geleistet hat. Ein solcher Anhaltspunkt liegt schon vor, wenn der Erblasser und seine Ehefrau monatliche Einkünfte von 1.720,00 Euro haben, jedoch die Konten zum Stichtag Todestag nur geringfügige Guthaben aufweisen.
  • Der Erbe – bzw. bei notarieller Aufnahme des Nachlassverzeichnisses der beauftragte Notar – ist verpflichtet, zur Ermittlung des Nachlasses und etwaiger Schenkungen auch in die vollständigen Kontoauszüge, Sparbücher oder vergleichbare Bankunterlagen Einsicht zu nehmen. Diese Einsichtnahme muss mindestens für einen Zehn-Jahres-Zeitraum erfolgen. Bei Anhaltspunkten für frühere Schenkungen an den Ehepartner muss die Einsichtnahme ggf. auf den gesamten Zeitraum der Ehe erstreckt werden, da solche Schenkungen auch länger als zehn Jahre relevant sind (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB).
  • Entstehen hierfür Kosten, sind diese auch in Höhe von 1.500,00 Euro nicht unverhältnismäßig – auch wenn der Erblasser wie hier kaum Geldmittel hinterlassen hat.
  • Macht der Pflichtteilsberechtigte von seinem Recht Gebrauch, zu verlangen, bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses hinzu gezogen zu werden, so ist damit auch das Recht verbunden, dass er und sein anwesender Rechtsanwalt die Unterlagen an Ort und Stelle durchsehen dürfen.
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