Wie wirken sich Schenkungen zu Lebzeiten an das „liebe“ Kind gegenüber dem enterbten Kind aus?
Wird ein Abkömmling vom Erblasser enterbt, steht ihm der Anspruch auf seinen gesetzlichen Pflichtteil gem. § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB zu. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils, § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB.
Für die Berechnung des gesetzlichen Pflichtteils wird der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt, § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Reinnachlass besteht aus den Aktiva abzüglich der Passiva. Unter die Aktiva fallen sämtliche Vermögenswerte des Erblassers, die im Zeitpunkt des Erbfalls vorhanden waren. Unter die Passiva fallen sämtliche Verbindlichkeiten des Erblassers und die Erbfallschulden.
Nur was passiert, wenn der Erblasser bereits sein gesamtes Vermögen vor seinem Tod verschenkt hat?
Ist im Nachlass kein Wert vorhanden, fällt der Pflichtteilsanspruch dementsprechend gering aus. Dadurch bestünde die Möglichkeit des Erblassers, den Pflichtteilsanspruch mittels von Schenkungen zu umgehen.
Doch gerade dies möchte der Gesetzgeber nicht. Egal wie unbeliebt das eigene Kind ist und egal wie wenig es sich um den Erblasser gekümmert hat oder ihn die letzten Jahre besucht hat, jedem Kind steht ein Anspruch auf seinen gesetzlichen Pflichtteil zu.
Um dieses Recht zu sichern, gibt es den Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. § 2325 BGB.
Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, so kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird, § 2325 Abs. 1 BGB. Hat der Erblasser vor seinem Tod dem anderen Kind 100.000,00 EUR geschenkt, so werden diese 100.000,00 EUR ebenfalls auf den Reinnachlass gerechnet. Dem Erblasser ist es folglich nicht möglich, den Pflichtteilsanspruch des enterbten Abkömmlings vor seinem Tod durch Schenkungen zu schmälern.
Eine Einschränkung gibt es jedoch. Grundsätzlich gilt für Schenkungen die Abschmelzung in Höhe von zehn Prozent pro Jahr. Die Schenkung wird innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt, § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB. Sind zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt.
Das bedeutet: Hat der Erblasser ein Jahr vor seinem Tod 100.000,00 EUR verschenkt, kann für den Pflichtteilergänzungsanspruch nur noch ein Wert in Höhe von 90.000,00 EUR Berücksichtigung finden.
Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Erblasser an der Schenkung selbst nicht mehr partizipiert. Erfolgt eine Schenkung an den Ehegatten, findet eine Abschmelzung nicht statt, vgl. § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB. Hat der Erblasser seinem Ehegatten vor 20 Jahren etwas geschenkt, findet diese Schenkung im vollen Umfang für den Pflichtteilsergänzungsanspruch Berücksichtigung.
Überträgt der Erblasser an sein „liebes“ Kind sein Grundstück und behält er sich einen Nießbrauch vor, findet ebenfalls keine Abschmelzung statt. Zwar hat der Erblasser sein Eigentum schenkweise übertragen, er hat das Grundstück jedoch nicht gänzlich aus der Hand gegeben, sondern nutzt dieses weiterhin.
Sollten Sie Fragen zu dem Thema Pflichtteil oder lebzeitige Zuwendungen haben, können Sie gerne einen Erstberatungstermin in unserer Kanzlei vereinbaren. Wir beraten Sie gerne zu allen Themen rund um das Erbrecht.