Eidesstattliche Versicherung über notarielles Nachlassverzeichnis

Besteht Grund zu der Annahme, dass der Erbe das Nachlassverzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt hat, so kann der Pflichtteilsberechtigte vom Erben verlangen, zu Protokoll an Eides Statt zu versichern, dass er nach bestem Wissen den Nachlassbestand so vollständig angegeben hat, als er dazu imstande ist (§ 260 Abs. 2 BGB). Wurde das Nachlassverzeichnis durch einen Notar erstellt, besteht dieses Recht des Pflichtteilsberechtigten gleichfalls. Es bezieht sich dann auf die Angaben, die der Notar als solche des auskunftspflichtigen Erben gekennzeichnet in das Verzeichnis aufgenommen hat.

Dies stellte das Kammergericht Berlin mit Urteil vom 12. Juni 2014 klar (KG Berlin, Urteil vom 12.06.2014, Aktenzeichen 1 U 32/13):

Entgegen der Ansicht des Beklagten kann eine Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 260 Abs. 2 BGB auch bei Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses nach § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB bestehen (Lange in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl., § 2314 Rdn. 32; J. Mayer in Bamberger/ Roth, BGB, 3. Aufl., § 2314 Rdn. 15; Weidlich, ErbR 2013, 134, 140; Zimmer, ZEV 08, 365, 369 und NotBZ 2005, 208, 211; wohl auch DNotI-Report 2003, 137, 139 und Nieder, ZErb 2004, 60, 65). Anders als bei einem privat erstellten Nachlassverzeichnis ist allerdings nicht das Verzeichnis als Gesamtheit Gegenstand der Versicherung, sondern die Angaben, die der Notar als solche des auskunftspflichtigen Erben gekennzeichnet in das Verzeichnis aufgenommen hat.

Wie der Beklagte im Ansatz zutreffend geltend macht, hat die Verantwortung für den Inhalt eines notariellen Nachlassverzeichnisses der aufnehmende Notar, was dieser durch die Unterzeichnung des Verzeichnisses zum Ausdruck bringt (BGHZ 33, 373, 377; Haas in Staudinger, BGB, 2006, § 2314 Rdn. 41; Lange a.a.O. Rdn. 32; J. Mayer a.a.O. Rdn. 15; Nieder a.a.O. S. 63; Roth, ZErb 2011, 402, 405; Weidlich, a.a.O. S. 139; Winkler, Beurkundungsgesetz, 17. Aufl., § 36 Rdn. 6). Er ist nach h.M. zu eigenen Ermittlungen verpflichtet (BGHZ 33, 373; OLG Saarbrücken, ZEV 2010, 416, kritisch dazu vor allem Zimmer, ZEV 2008, 365 und NotBZ 2005, 208 sowie Heidenreich, ZErb 2011, 71, 74) und darf sich nicht auf eine Beurkundung der Erklärung des auskunftspflichtigen Erben beschränken (OLG Celle, OLGReport 1997, 160, DNotZ 2003, 62), auch wenn er in der Regel – zulässig – zunächst von den vom Erben zur Verfügung gestellten Informationen ausgehen wird (DNotI-Report 2003, 137, 138). Die Entscheidung, was Inhalt des Bestandsverzeichnisses wird, ist allein dem Notar vorbehalten (OLG Celle, DNotZ 2003, 62; Haas a.a.O. Rdn. 41; Lange a.a.O. Rdn. 30; Roth a.a.O. S. 405). Dem Erben kann deshalb in der Regel nicht angesonnen werden, mit eigener eidesstattlicher Versicherung ein Verzeichnis zu beschwören, dessen Inhalt letztlich nicht in seiner Entscheidungsmacht und Verantwortung lag (a.A. Zimmer a.a.O., der annimmt, spätestens bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung werde die erteilte Auskunft dem Erben als eigene “Erklärung” zugerechnet, sich aber aus diesem Grunde gegen die von der ganz h.M. angenommene eigene Ermittlungspflicht des Notars ausspricht).

Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung des Erben können jedoch dessen Angaben zum Nachlassbestand sein, wenn sie als solche gekennzeichnet vom Notar aufgenommen worden sind (Lange a.a.O. Rdn. 32; J.Mayer a.a.O. Rdn. 15). Eine in dieser Weise konkretisierte (§ 261 BGB) Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist zum einen nach dem Wortlaut der §§ 2314, 260 Abs. 2 BGB nicht ausgeschlossen und zum anderen nach deren Sinn und Zweck erforderlich.

Der Gesetzgeber hat § 2314 BGB so konzipiert, dass dem Pflichtteilsberechtigten der Auskunftsanspruch in verschiedenen Stärkegraden zusteht, wobei das notarielle Nachlassverzeichnis als das stärkere, höhere Richtigkeitsgewähr erbringende Auskunftsmittel angesehen wird (BGHZ 33, 373). Gäbe es bei dem notariellen Nachlassverzeichnis nicht die Möglichkeit, den auskunftspflichtigen Erben zur eidesstattlichen Versicherung seiner Angaben zu zwingen, so wäre es gegenüber dem privat erstellten Verzeichnis allerdings das schwächere Begehren. Das notarielle Nachlassverzeichnis soll zwar eine erhöhte Richtigkeitsgewähr schon deshalb haben, weil der Schuldner vom Notar nachhaltig über seine Wahrheitspflicht belehrt wird (OLG Celle, DNotZ 2003, 62; OLG Düsseldorf, OLG-Report 1995, 299; DNotI-Report 2003, 137, 139; Weidlich a.a.O., S. 139). Eine solche nachhaltige Belehrung ist aber ersichtlich noch verlässlicher zur Wahrheitsfindung geeignet, wenn sie wie bei der eidestattlichen Versicherung mit einer Strafandrohung verbunden ist.

Die Schwächung, die das notarielle Nachlassverzeichnis bei fehlender Möglichkeit zur Forderung der eidesstattlichen Versicherung erfahren würde, wird in der Regel nicht durch den Vorteil der notariellen Ermittlungspflicht aufgewogen. Denn dem Notar, der nicht am Rechts- und Amtshilfeverkehr der Gerichte und Verwaltungsbehörden teilhat (J. Mayer a.a.O. Rdn. 15; Nieder a.a.O. S. 63) stehen bis auf Anfragen bei Grundbuchämtern und Banken insbesondere hinsichtlich des fiktiven Nachlasses kaum Möglichkeiten zur Verfügung, Informationen zu erhalten, die der auskunftspflichtige Erbe ihm nicht freiwillig gibt (Heidenreich a.a.O. S. 75; Weidlich a.a.O. S. 140).

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es dem Pflichtteilsberechtigten freistehe, anstatt des notariellen Nachlassverzeichnis ein privates nebst eidesstattlicher Versicherung zu fordern. Vor Erstellung des Verzeichnisses kann der Pflichtteilsberechtigte nicht wissen, ob ihm das Verzeichnis Anlass zu Zweifeln geben wird. Zudem dürfte der Erbe berechtigt sein, die Auskunft auch dann durch notarielles Verzeichnis zu erteilen, wenn dies vom Pflichtteilsberechtigten nicht ausdrücklich gefordert wurde. Nach Vorliegen des notariellen Verzeichnisses ist dem Erben allerdings die Forderung eines privaten Verzeichnisses in der Regel als rechtsmissbräuchlich verwehrt (BGHZ 33, 373).

Nach oben scrollen