Erbscheinsantrag oder Erbenfeststellungsklage? – Unterschiede zwischen Erbscheinsverfahren und Zivilprozess

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 14. Dezember 2024 von Tobias Goldkamp

In der Praxis des Erbrechts gibt es zwei wesentliche Verfahren zur Klärung der Erbenstellung: das Erbscheinsverfahren und die Erbenfeststellungsklage. Beide Verfahren unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Voraussetzungen, ihres Ablaufs und ihrer Rechtswirkungen. Nachfolgend werden die wichtigsten Unterschiede zwischen diesen beiden Verfahren erläutert, gefolgt von Beispielen aus der Rechtsprechung.

1. Zweck und Anwendungsbereich

Erbschein: Vorläufiger Beweis gegenüber Banken und Grundbuchamt

Das Erbscheinsverfahren dient dazu, auf Antrag eines Erben oder eines potenziell Erbberechtigten, das Erbrecht durch das Nachlassgericht bescheinigen zu lassen. Der Erbschein ist ein amtliches Dokument, das im Rechtsverkehr, z. B. gegenüber Banken oder dem Grundbuchamt, als Nachweis der Erbenstellung dient (§ 35 GBO). Der Erbschein entfaltet keine materielle Rechtskraft, sondern nur eine vorläufige Beweiswirkung und kann vom Nachlassgericht eingezogen werden, wenn sich die Unrichtigkeit herausstellt (§ 2361 BGB).

Erbenfeststellungsklage: Endgültige Klärung

Die Erbenfeststellungsklage dient der gerichtlichen Klärung der Erbenstellung, insbesondere bei Streitigkeiten zwischen mehreren Erbprätendenten. Erbprätendent nennt mein eine Person, die für sich in Anspruch nimmt, Erbe zu sein. Anders als beim Erbscheinsverfahren ergeht bei der Erbenfeststellungsklage ein Urteil, das materielle Rechtskraft entfaltet und für alle Beteiligten bindend ist (§ 322 ZPO). Damit wird endgültig entschieden, wer Erbe ist und zu welchem Anteil der Nachlass aufgeteilt wird.

Dies Wirkung bindet auch das Nachlassgericht: Es hat sich grundsätzlich an ein in einem zwischen den Beteiligten geführten Zivilprozess ergangenes rechtskräftiges Urteil zu halten. Wenn ein solcher Zivilprozess während des Erbscheinsverfahrens läuft, wird das Nachlassgericht das Erbscheinsverfahren aussetzen und das Urteil im Zivilprozess abwarten.

2. Verfahren und Verfahrensregeln

Erbscheinsverfahren

Im Erbscheinsverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG). Das Nachlassgericht ermittelt von Amts wegen den Sachverhalt und fordert die Beteiligten auf, relevante Informationen zur Erbfolge beizubringen. Das Verfahren ist nichtöffentlich und wird durch das Nachlassgericht geleitet, das die Beweiserhebung formlos gestalten kann (§§ 29, 30 FamFG).

Erbenfeststellungsklage

Die Erbenfeststellungsklage wird nach den Regeln der Zivilprozessordnung geführt und unterliegt dem Beibringungsgrundsatz (§ 282 ZPO). Die Parteien sind für die Darlegung des Sachverhalts und die Vorlage von Beweisen verantwortlich. Das Verfahren ist öffentlich und das Gericht entscheidet nach den strengen Beweisregeln des Zivilprozesses (§ 284 ZPO).

3. Rechtsschutzbedürfnis

Erbscheinsverfahren

Das Erbscheinsverfahren erfordert kein spezielles Rechtsschutzbedürfnis. Jeder Erbe oder potenziell Erbberechtigte kann die Ausstellung eines Erbscheins beantragen, ohne dass ein Streit über die Erbenstellung vorliegen muss.

Erbenfeststellungsklage

Die Erbenfeststellungsklage setzt ein besonderes Feststellungsinteresse voraus: Sie ist nur zulässig, wenn zwischen den Parteien ein konkreter Streit über die Erbenstellung besteht, der durch das Urteil geklärt werden kann.

4. Kostentragung

Erbscheinsverfahren

Die Kosten des Erbscheinsverfahrens trägt in der Regel der Antragsteller, es sei denn, das Nachlassgericht entscheidet nach billigem Ermessen anders (§ 81 FamFG).

Erbenfeststellungsklage

Im Zivilprozess trägt die unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens (§ 91 ZPO). Dies umfasst sowohl die Gerichtskosten als auch die Anwaltskosten der Parteien.

5. Beispiele aus der Rechtsprechung

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 7. Mai 2015 – 20 W 371/13

Das OLG Frankfurt entschied, dass sich das Nachlassgericht an ein Erbenfeststellungsurteil halten muss, sofern es zwischen den Beteiligten des Erbscheinsverfahrens ergangen ist. Das gilt auch dann, wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, d.h. ein Urteil, dass wegen fehlender Verteidigungsbereitschaft oder einem Nichterscheinen im Termin ergangen ist.

OLG München, Beschluss vom 8. März 2016 – 31 Wx 386/15

In dieser Entscheidung verdeutlichte das OLG München die Stärke der Bindungskraft des Erbenfeststellungsurteils: Einwände, die schon im Erbenfeststellungsprozess hätten erhoben werden können, bleiben im Erbscheinsverfahren unberücksichtigt.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Januar 2019 – I-3 Wx 34/16

Das OLG Düsseldorf entschied, dass auch ein Versäumnisurteil in einer Erbenfeststellungsklage gegenüber einem Erbscheinsverfahren bindend ist. Dies gilt selbst dann, wenn das Nachlassgericht zuvor keine umfassende Prüfung der Erbenstellung vorgenommen hat. Die Entscheidung bestätigt, dass das Nachlassgericht an die im Feststellungsprozess ergangenen Urteile gebunden ist, auch wenn es sich um Versäumnisurteile handelt.

6. Fazit

Die Entscheidungen verdeutlichen, wie Gerichte die Bindungswirkung von Feststellungsurteilen im Erbscheinsverfahren beurteilen und wann eine Erbenfeststellungsklage zulässig ist. Wenn Sie unsicher sind, welches Verfahren für Ihre erbrechtliche Situation am besten geeignet ist, stehen wir Ihnen mit fundierter Beratung und rechtlicher Unterstützung zur Seite.

Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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