Die Frage, ob ein hälftiger Miteigentumsanteil an einer Immobilie denselben Wert hat wie die Hälfte des Gesamtwerts der Immobilie, beschäftigt sowohl Gerichte als auch Erb- und Pflichtteilsberechtigte immer wieder. Das OLG Hamm hat in einem Urteil vom 09.03.2023 (Az.: 10 U 25/22) hierzu Stellung genommen und betont, dass ein solcher Anteil in der Regel einen niedrigeren Wert aufweist als der rechnerische Anteil am Gesamtwert der Immobilie. Dies hat insbesondere im Rahmen von Pflichtteilsansprüchen erhebliche Auswirkungen.
1. Der Fall
Im zugrunde liegenden Fall stritten die Parteien über die Bewertung eines hälftigen Miteigentumsanteils an einer Immobilie. Der Pflichtteilsberechtigte verlangte eine Zahlung, wobei der Wert des Miteigentumsanteils streitig war. Unstrittig war, dass die Immobilie insgesamt einen Verkehrswert von 340.000 Euro hatte. Die zentrale Frage war jedoch, wie der hälftige Anteil des Erblassers an dieser Immobilie zu bewerten sei.
Das Landgericht hatte einen Abschlag von 15% vom rechnerischen hälftigen Anteil vorgenommen und den Anteil des Erblassers mit 144.500 Euro bewertet. Das OLG Hamm entschied jedoch, dass ein höherer Abschlag von 30% gerechtfertigt sei. Es begründete dies damit, dass der Wert eines Miteigentumsanteils an einer Immobilie aufgrund eingeschränkter Verwertungsmöglichkeiten regelmäßig unter dem anteiligen Verkehrswert der Immobilie liege.
2. Quotelung versus Abschlag
Nach einer weit verbreiteten Auffassung lässt sich der Wert eines Miteigentumsanteils durch einfache Quotelung bestimmen. Das würde bedeuten, dass bei einem Verkehrswert von 340.000 Euro der Wert des hälftigen Anteils bei 170.000 Euro läge. Diese Auffassung vereinfacht die Bewertung, birgt aber das Risiko, die realen Marktbedingungen nicht ausreichend zu berücksichtigen.
Die Praxis zeigt jedoch, dass Miteigentumsanteile im Vergleich zu Alleineigentum schwerer zu veräußern sind und weniger flexibel genutzt werden können. Die eingeschränkten Verwertungsmöglichkeiten führen dazu, dass Miteigentumsanteile in der Regel nur mit einem Abschlag vom rechnerischen Anteil bewertet werden. Das OLG Hamm schloss sich dieser Auffassung an und bestätigte, dass der Wert eines Miteigentumsanteils in der Praxis deutlich niedriger sein kann als der rechnerische Wert.
3. Gründe für den Abschlag
Dafür, dass der Miteigentumsanteil oder Erbteil weniger wert ist als der entsprechende Anteil am Gesamtwert der Immobilie, sprechen u.a. folgende Gründe:
- Eingeschränkte Verwertungsmöglichkeiten: Miteigentümer haben nur begrenzte Möglichkeiten, ihren Anteil frei zu veräußern oder das Objekt zu nutzen. Ein Alleineigentümer kann eine Immobilie ohne Zustimmung Dritter verkaufen oder anderweitig nutzen. Ein Miteigentümer ist jedoch von der Zustimmung der anderen Miteigentümer abhängig.
- Kosten und Risiken der Teilungsversteigerung: Sollten sich die Miteigentümer nicht einigen, bleibt oft nur der Weg der Teilungsversteigerung. Dieses Verfahren kann langwierig und kostenintensiv sein und führt häufig zu einem Verkauf unter dem Verkehrswert.
- Haftungsrisiken: Miteigentümer haften gesamtschuldnerisch für mit der Immobilie verbundene Verbindlichkeiten, wie Steuern und Abgaben. Diese zusätzliche Verpflichtung mindert den Wert eines Miteigentumsanteils weiter.
4. Praktische Bedeutung für Pflichtteilsansprüche
Die Entscheidung des OLG Hamm verdeutlicht, dass bei der Berechnung von Pflichtteilsansprüchen, in denen Miteigentumsanteile an Immobilien eine Rolle spielen, in der Regel Abschläge vom rechnerischen Anteil vorzunehmen sind. Ein Miteigentumsanteil ist nicht einfach die Hälfte des Verkehrswerts der Immobilie, sondern in der Praxis aufgrund der genannten Einschränkungen weniger wert.
Fazit
Der halbe Anteil an einer Immobilie ist in der Regel nicht halb so viel wert wie die ganze Immobilie. Miteigentumsanteile sind schwerer zu veräußern und mit erheblichen Einschränkungen verbunden, die zu einem Wertabschlag führen. Die Entscheidung des OLG Hamm unterstreicht, dass Pflichtteilsberechtigte bei der Bewertung solcher Anteile mit Abschlägen rechnen müssen, um den realistischen Marktwert zu bestimmen.
Tipp für Profis: Weitere rechtliche Einzelheiten sind in meiner Urteilsbesprechung bei juris nachzulesen, Goldkamp, jurisPR-FamR 23/2023 Anm. 5.