Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung in gemeinschaftlichen Testamenten

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat am 30. Januar 2024 (Az.: 33 Wx 191/23 e) in einem wegweisenden Beschluss zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments entschieden. Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage, ob die Einsetzung von Patenkindern als Schlusserben in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich ist und welche Auswirkungen dies auf die letztwilligen Verfügungen der Eheleute hat.

Hintergrund des Falls

Der Fall betrifft den Nachlass eines Erblassers, der in zweiter Ehe verheiratet war und keine eigenen Kinder hinterließ. Der Erblasser und seine erste Ehefrau hatten am 9. Januar 2001 ein gemeinschaftliches notarielles Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und für den Fall des Todes des Längstlebenden ihre Patenkinder als Schlusserben bestimmten. Die Patenkinder waren der Neffe der ersten Ehefrau und die Enkelin des Bruders des Erblassers. Nach dem Tod der ersten Ehefrau und der späteren Wiederverheiratung des Erblassers versuchte dieser, die Erbeinsetzung zugunsten seiner zweiten Ehefrau zu ändern.

Zentrale Streitpunkte

  1. Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung: Der Erblasser hatte in einem späteren notariellen Testament und mehreren handschriftlichen Testamenten versucht, die Einsetzung seiner Patenkinder zu widerrufen, indem er seine zweite Ehefrau als Schlusserbin einsetzte.
  2. Wirksamkeit der Änderungen: Die Frage war, ob diese Änderungen wirksam sind, insbesondere ob die ursprüngliche Schlusserbeneinsetzung der Patenkinder wechselbezüglich und somit bindend war.

Entscheidung des Oberlandesgerichts

Das OLG München bestätigte die Entscheidung des Nachlassgerichts, dass die Schlusserbeneinsetzung der Patenkinder in dem gemeinschaftlichen Testament von 2001 wechselbezüglich und daher bindend war. Die wesentlichen Punkte der Entscheidung umfassen:

Auslegung der Wechselbezüglichkeit

  1. Gemeinsamer Wille der Eheleute: Das Gericht stellte fest, dass die Eheleute die Patenkinder als Schlusserben im gemeinschaftlichen Testament gemeinsam einsetzen wollten und ihre Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander standen. Die Verwendung des Begriffs „unsere Patenkinder“ ohne Zuordnung zu einem der Ehepartner deutete auf einen gemeinsamen Willen hin, die Patenkinder gleichwertig zu berücksichtigen.
  2. Einschränkung der Abänderungsbefugnis: Im Testament wurde die Möglichkeit zur Änderung der Schlusserbfolge stark eingeschränkt. Der überlebende Ehegatte konnte die Schlusserbfolge nur zugunsten der Abkömmlinge der Geschwister ändern, was die bindende Wirkung der ursprünglichen Verfügung unterstreicht.

Unwirksamkeit der nachträglichen Testamente

  • Notarielle und handschriftliche Testamente: Die nachträglichen Versuche des Erblassers, die Erbeinsetzung zugunsten seiner zweiten Ehefrau zu ändern, wurden wegen der Bindungswirkung der wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung als unwirksam angesehen.
  • Formunwirksamkeit: Die handschriftlichen Testamente waren zudem nicht formwirksam errichtet worden, was ihre Unwirksamkeit zusätzlich begründete.

Auswirkungen für Erblasser und Erben

Diese Entscheidung verdeutlicht, dass die Einsetzung von Erben in einem gemeinschaftlichen Testament bindend werden kann, wenn die Schlusserbeneinsetzung wechselbezüglich erfolgt ist. Erblasser, die eine Änderung ihrer letztwilligen Verfügungen beabsichtigen, müssen sich der rechtlichen Konsequenzen bewusst sein und besondere Maßnahmen ergreifen, um ihre Wünsche zu verwirklichen:

  • Zu Lebzeiten des anderen Ehegatten kann die wechselbezügliche Verfügung durch eine notariell beurkundete Erklärung widerrufen werden, die ihm in Ausfertigung zugehen muss.
  • Nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten kann der längerlebende Ehegatte seine wechselbezügliche Verfügung widerrufen, wenn er die Erbschaft nach dem erstversterbenden Ehegatten ausschlägt oder eine Anfechtung erklärt. Auch dafür gelten besondere Fristen und Formvorschriften.

Fazit

Die Entscheidung des OLG München unterstreicht die Bedeutung der sorgfältigen Auslegung gemeinschaftlicher Testamente und der Berücksichtigung des gemeinsamen Willens der Ehegatten. Bei der Erstellung und Änderung gemeinschaftlicher Testamente sollten Erblasser überlegen und durch ausdrückliche Regelungen klarstellen, inwieweit einseitige Änderungen möglich sein sollen oder eine Bindung nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten eintreten soll.

Wenn Sie Fragen zur Testamentsgestaltung oder zur Auslegung von letztwilligen Verfügungen haben, stehen wir Ihnen mit unserer Expertise im Erbrecht gerne zur Verfügung.

Nach oben scrollen