Gemeinschaftliche Testamente von Ehegatten enthalten häufig Pflichtteilssanktionsklauseln, um Pflichtteilsansprüche eines Kindes nach dem Erstversterbenden zu sanktionieren. Doch wie weit reicht eine solche Klausel? Gilt sie nur für die Erbeinsetzung oder betrifft sie auch Vermächtnisse? Diese Frage hatte das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 22.11.2023 – 19 U 36/22) zu klären.

Der Fall: Pflichtteilsforderung und Streit um Vermächtnisse
Die Erblasserin und ihr bereits vorverstorbener Ehemann hatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin setzten sie sich gegenseitig zu Vollerben und ihren Sohn zum Schlusserben ein. Zudem wurde verfügt, dass der Sohn kein Erbe wird, wenn er nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil verlangt.
Nach dem Tod des Ehemannes machte der Sohn seinen Pflichtteil geltend. Die Mutter errichtete daraufhin ein neues Testament, in dem sie ihn enterbte und frühere Vermächtnisse zugunsten Dritter nicht mehr berücksichtigte. Nach ihrem Tod klagten diese Vermächtnisnehmer auf Erfüllung der Vermächtnisse – mit der Begründung, dass die Erblasserin an die früheren Verfügungen gebunden gewesen sei.
Die Entscheidung des KG Berlin: Bindung an Vermächtnisse bleibt bestehen
Das KG Berlin entschied, dass die Pflichtteilssanktionsklausel nur die Erbeinsetzung betrifft, nicht aber Vermächtnisse. Die Erblasserin konnte also ihren Sohn enterben, war aber weiterhin an die im ursprünglichen Testament festgelegten Vermächtnisse gebunden.
1. Auslegung der Pflichtteilssanktionsklausel
Die Klausel enthielt folgenden Wortlaut:
„Sollte der Sohn im Falle des Erstversterbens des Ehemanns den Pflichtteil geltend machen, so entfällt seine Einsetzung als Schlusserbe. In diesem Fall ist die Ehefrau berechtigt, über den ererbten und den eigenen Nachlass frei zu verfügen.“
Das Gericht stellte klar, dass diese Klausel nur die Erbeinsetzung des Sohnes betraf, nicht aber andere Verfügungen. Das bedeutet:
- Die Erblasserin konnte nach dem Pflichtteilsverlangen ihren Sohn als Erben ausschließen,
- Sie konnte aber nicht über bindend gewordene Vermächtnisse hinweg entscheiden.
2. Wechselbezüglichkeit im gemeinschaftlichen Testament
Nach § 2271 Abs. 2 BGB werden wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament mit dem Tod des Erstversterbenden bindend. Das Gericht bestätigte, dass diese Bindungswirkung auch für die Vermächtnisse galt.
Das bedeutet:
- Der überlebende Ehegatte konnte nur über seine eigene Erbeinsetzung neu entscheiden,
- Vermächtnisse blieben wirksam, sofern sie eine wechselbezügliche Verfügung darstellten.
3. Keine Sittenwidrigkeit trotz langer Bindungswirkung
Der Beklagte argumentierte, dass eine so lange Bindung an das ursprüngliche Testament sittenwidrig sei. Das KG Berlin wies dies zurück:
- Die Wechselbezüglichkeit sei vertraglich gewollt gewesen,
- Eine lange Bindung sei kein unangemessener Eingriff in die Testierfreiheit,
- Auch die steigende Lebenserwartung ändere nichts an der grundsätzlichen Rechtslage.
Fazit: Pflichtteilssanktionen müssen klar formuliert werden
Die Entscheidung zeigt, dass Pflichtteilssanktionsklauseln präzise formuliert werden müssen.
✅ Lehren aus dem Urteil:
- Eine Pflichtteilssanktion kann sich nur auf die Erbeinsetzung beziehen, nicht automatisch auf Vermächtnisse.
- Wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament werden mit dem Tod des Erstversterbenden bindend, sofern nichts anderes ausdrücklich geregelt ist.
- Eine lange Bindungswirkung ist nicht automatisch sittenwidrig.
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