Was gilt erbrechtlich, wenn Personen kurz hintereinander oder gleichzeitig sterben?

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 3. Oktober 2024 von Tobias Goldkamp

Sterben mehrere Personen, ist die Reihenfolge ihres Versterbens erbrechtlich von großer Bedeutung: Nur wer zum Zeitpunkt des Sterbens einer Person noch lebt, kann sie beerben (§ 1923 Abs. 1 BGB).

Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat in einem Beschluss vom 26. September 2024 die Vermutung des gleichzeitigen Todes nach § 11 Verschollenheitsgesetz (VerschG) angewandt, da nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden konnte, ob der Erblasser vor oder nach seiner Ehefrau verstorben ist (Aktenzeichen 14 W 95/23).

Die Entscheidung zeigt, welche strengen Anforderungen an den Nachweis des Überlebens im Erbscheinsverfahren gestellt werden, insbesondere wenn mehrere Todesfälle kurz hintereinander eintreten:

1. Sachverhalt

Der Erblasser und seine Ehefrau verstarben Anfang Januar 2023 kurz nacheinander. Beide hatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Die Ehe blieb kinderlos, und es existierten keine leiblichen oder adoptierten Abkömmlinge. Der Erblasser wurde tot in seinem Schlafzimmer gefunden, während seine Frau wenige Stunden später erhängt im Schuppen aufgefunden wurde.

Das Amtsgericht Offenburg ordnete zunächst die Nachlasspflegschaft an, da die Erbfolge unklar war. Die gesetzliche Vermutung, dass die Ehefrau den Ehemann beerbt habe, wurde in Frage gestellt, da der Todeszeitpunkt der beiden Eheleute nicht eindeutig festgestellt werden konnte. Im weiteren Verlauf beantragten die Geschwister des Erblassers einen Erbschein und machten geltend, dass der Erblasser und seine Ehefrau gleichzeitig verstorben seien, was die Vermutung des § 11 VerschG auslöse.

2. Entscheidung des OLG Karlsruhe

Das OLG Karlsruhe bestätigte, dass die Vermutung des gleichzeitigen Todes gemäß § 11 VerschG greift (sogenannte Kommorientenvermutung), da im Wege der Amtsermittlung nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden konnte, dass der Erblasser seine Ehefrau überlebt hat.

a) Strenge Anforderungen an den Nachweis des Überlebens

Nach § 1923 Abs. 1 BGB kann nur erben, wer zur Zeit des Erbfalls lebt. Im vorliegenden Fall konnte nicht bewiesen werden, dass der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seiner Ehefrau noch lebte. Das Gericht führte aus, dass an den Nachweis des Überlebens strenge Anforderungen zu stellen sind. Restzweifel, die nicht ausgeräumt werden konnten, führten dazu, dass die Vermutung des § 11 VerschG anzuwenden war. Diese gesetzliche Vermutung besagt, dass beide Ehegatten gleichzeitig verstorben sind, wenn der Todeszeitpunkt nicht genau festgestellt werden kann.

b) Gutachten zur Klärung der Todeszeitpunkte

Ein vom Gericht in Auftrag gegebenes rechtsmedizinisches Gutachten konnte keine eindeutigen Schlüsse darüber ziehen, welcher der Ehegatten zuerst verstorben war. Die exakten Todeszeitpunkte beider Eheleute blieben unklar. Die Feststellungen der Obduktion und die Umstände des Auffindens der Leichen reichten nicht aus, um sicher zu belegen, dass einer der beiden Ehegatten länger als der andere gelebt hat. Die Vermutung des gleichzeitigen Todes war daher anzuwenden.

c) Anwendung der Kommorientenvermutung

Da nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Ehefrau den Erblasser überlebt hat, ging das OLG Karlsruhe davon aus, dass beide Ehegatten gleichzeitig verstorben sind. Folglich wurde die Ehefrau nicht Erbin des Erblassers. Stattdessen wurde der Erblasser gemäß den Regeln der gesetzlichen Erbfolge von seinen Geschwistern und deren Nachkommen beerbt. Dies entspricht der Anwendung von § 1925 Abs. 2 BGB, wonach die Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge Erben zweiter Ordnung sind.

3. Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe verdeutlicht, wie wichtig es ist, im Erbscheinsverfahren den genauen Todeszeitpunkt festzustellen, insbesondere wenn mehrere Personen kurz nacheinander versterben. Die Vermutung des gleichzeitigen Todes nach § 11 VerschG greift, wenn der genaue Todeszeitpunkt nicht nachgewiesen werden kann. Diese Vermutung hat erhebliche Auswirkungen auf die Erbfolge, da der überlebende Ehegatte in solchen Fällen nicht mehr als Erbe infrage kommt.

Fazit

Die Vermutung des gleichzeitigen Todes spielt eine zentrale Rolle, wenn es um die Erbfolge geht und die Todeszeitpunkte mehrerer Personen nicht eindeutig feststellbar sind. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe zeigt, dass die Anforderungen an den Nachweis des Überlebens im Erbscheinsverfahren hoch sind. Unsere Kanzlei berät Sie gerne zu den rechtlichen Folgen solcher Fälle und unterstützt Sie bei der Durchsetzung Ihrer erbrechtlichen Ansprüche.

Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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