Was ist eine Pflichtteilsstrafklausel?

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 15. Oktober 2015 von Tobias Goldkamp

Pflichtteilsstrafklausel nennt man eine Regelung in einem Ehegattentestament, wonach ein Kind, welches nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil beansprucht, für den Erbgang nach dem letztversterbenden Elternteil ebenfalls auf den Pflichtteil herabgesetzt wird.

Mit dem Ehegattentestament wollen die Eltern häufig erreichen, dass nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils zunächst das zweite Elternteil Alleinerbe wird. Die Kinder sollen erst nach dem Tod des letztversterbenden Elternteils erben. Deshalb setzen die Eltern sich für den ersten Erbgang wechselseitig zu Alleinerben ein und bestimmen, dass im zweiten Erbgang – nach dem Tod des längerlebenden Elternteils – die Kinder erben.

Eine solche Regelung nennt man auch „Berliner Testament“. Sie läuft darauf hinaus, dass die Kinder erst etwas bekommen sollen, wenn beide Eltern verstorben sind, und nicht schon nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils.

Die Kinder müssen sich an diesen Plan nicht halten. Ihnen stehen Pflichtteilsansprüche zu – und zwar schon nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils, und nicht erst nach dem Tod beider Eltern.

Um zu verhindern, dass ein Kind beim Tod des erstversterbenden Elternteils seinen Pflichtteil beansprucht, wurde die Pflichtteilsstrafklausel erfunden – eine zusätzliche Regelung, die die Eltern in das Testament hinein schreiben können. Sie lautet typischerweise:

„Macht ein Kind gegen den Willen des überlebenden Elternteils nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil geltend, erhält es beim Erbgang nach dem längstlebenden Elternteil ebenfalls nur den Pflichtteil.“

Beispiel 1:

Philipp und Friederike haben zwei Kinder – Sascha und Susanne. Philipp und Friederike errichten ein sogenanntes Berliner Testament. Es lautet: „Wir setzen uns für den Tod des Erstversterbenden gegenseitig zu Alleinerben ein. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollen unsere Kinder Sascha und Susanne erben. Macht ein Kind gegen den Willen des überlebenden Elternteils nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil geltend, erhält es beim Erbgang nach dem längstlebenden Elternteil ebenfalls nur den Pflichtteil.“ Den Text schreibt Friederike handschriftlich, und er wird von beiden Eheleuten unterschrieben.

Nach dem Tod von Philipp, der 100.000 Euro Reinnachlass, bestehend aus einer ihm gehörenden Haushälfte, hinterlässt, beansprucht Sascha gegen den Willen von Friederike von ihr den Pflichtteil, hier auszuzahlende 12.500 Euro. Die restlichen 87.500 Euro Nachlass kann Friederike behalten. Später stirbt auch Friederike. Sie hinterlässt insgesamt 200.000 Euro. Susanne wird Alleinerbin, da Sascha aufgrund der Pflichtteilsstrafklausel nur den Pflichtteil erhält. Susanne muss Sascha den Pflichtteil von 50.000 Euro auszahlen und kann den Restbetrag von 150.000 Euro behalten.

In diesem Beispiel erhält Sascha 62.500 Euro, während Susanne 150.000 Euro erhält.

Beispiel 2:

Wie Beispiel 1, nur lebt Friederike noch sehr lange und kommt in ein Altenpflegeheim. Ihr Vermögen wird für die Pflegekosten aufgezehrt. Als sie stirbt, hinterlässt sie nichts.

Susanne wird Alleinerbin. Doch sie erhält nichts, weil der Nachlass leer ist. Sascha hat immerhin den Pflichtteil nach dem Vater von 12.500 Euro erhalten.

Ergebnis:

Je mehr der erstversterbende Ehegatte hinterlässt und je weniger der letztversterbenden Ehegatte voraussichtlich hinterlassen wird, desto interessanter kann es sein, den Pflichtteil trotz Pflichtteilsstrafklausel geltend zu machen. Manchmal ist der Spatz in der Hand mehr wert als die Taube auf dem Dach.

Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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