In manchen Testamenten findet sich eine Pflichtteilsstrafklausel, nach der das Kind den Pflichtteil nach dem länger lebenden Elternteil verliert, wenn es nach dem zuerst verstorbenen Elternteil den Pflichtteil beansprucht. Doch die Klausel greift nicht in allen Fällen, und oft kann es sinnvoll sein, den Pflichtteil trotz der Klausel geltend zu machen.
Wozu dient eine Pflichtteilsstrafklausel?
Eine Pflichtteilsstrafklausel hat den Sinn, dem länger lebenden Ehegatten den Nachlass möglichst ungeschmälert zu erhalten und ihm die Auseinandersetzung mit den Kindern über den Nachlass ersparen.
Obwohl den Kindern schon nach dem Tod des zuerst versterbenden Ehegatten der Pflichtteil zusteht, sollen sie darauf verzichten, ihn geltend zu machen.
Wann greift die Pflichtteilsstrafklausel?
Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wann die Pflichtteilsstrafklausel greift. In der Regel wird sie ausgelöst, wenn der Pflichtteilsberechtigte in Kenntnis der Pflichtteilsstrafklausel bewusst den Pflichtteil geltend macht.
Auskunftsverlangen löst Pflichtteilsstrafklausel nicht aus
Der Erblasser schloss mit seiner Ehefrau einen Erbvertrag, in dem er u.a. verfügte: „Verlangt meine Tochter bei meinem Ableben den Pflichtteil, so entfällt die Erbeinsetzung durch den Längstlebenden“. Nach dem Tod des Vaters verlangte die Tochter von ihrer Stiefmutter Auskunft über den Nachlass. Das zuständige Landgericht sah darin kein Pflichtteilsverlangen und das Bayerische Oberste Landesgericht stimmt dem mit Beschluss vom 23. Oktober 1990 – BReg 1 a Z 50/90 – zu:
Das Landgericht hat fehlerfrei kein Verlangen des Pflichtteils darin gesehen, daß die Beteiligte zu 1 den Auskunftsanspruch des § 2314 Abs. 1 BGB geltend gemacht hat. Wodurch ein Pflichtteil „verlangt“ wird, ist durch Auslegung zu ermitteln (BayObLGZ 1990, 58/61 m. w. Nachw. für ein gemeinschaftliches Testament). Diese hat sich danach auszurichten, wie die Pflichtteilsklausel im Einzelfall vom Erblasser gestaltet ist. […]
Der Erbvertrag war auch auslegungsbedürftig, denn es war nicht eindeutig erklärt, ob der Pflichtteil schon verlangt sei mit der bloßen Aufforderung, ihn zu bezahlen mit einer Mahnung und damit dem Eintritt des Verzugs (§ 284 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder gar erst, wenn er rechtshängig gemacht werde (§ 261 Abs. 1 ZPO). […]
In diesem Zusammenhang hat das Landgericht auch richtig erkannt, daß der Pflichtteilberechtigte, dem ein Rechtsverlust infolge der Pflichtteilsklausel droht, die Gelegenheit haben muß, durch Auskunft über den Umfang des Nachlasses sich eine Meinung darüber zu bilden, ob es für ihn günstiger sei, den Pflichtteilsanspruch zu erheben oder sich die Erbenstellung zu bewahren. Das Landgericht hatte auch keinen Anlaß, die Pflichtteilsklausel so auszulegen, daß sie schon dann eintrete, wenn die Beteiligte zu 1 der Erbin ‚Ärger‘ bereite, wie im vorliegenden Fall dadurch, daß sie diese mit dem Auskunftsanspruch belästigt hat.“
Bezweifeln der Erbenstellung ist kein Pflichtteilsverlangen
Die Eheleute regelten in einem gemeinschaftlichen Testament u.a.: „Verlangt einer unserer Abkömmlinge auf den Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil, so sind er und seine Nachkommen von der Erbfolge auf Ableben des Längerlebenden (Längstlebenden) ausgeschlossen.“ Nach dem Tod des Vaters zweifelte eine Tochter beim Nachlassgericht die Wirksamkeit des Testaments an. Nachdem die Mutter starb, meinte der Sohn, seine Schwester habe durch ihr Verhalten die Pflichtteilsklausel ausgelöst, so dass sie nach der Mutter enterbt sei und er Alleinerbe sei.
Das OLG München sah es anders, die Pflichtteilsklausel sei nicht ausgelöst (Beschluss vom 06. Dezember 2018 – 31 Wx 374/17):
„Nach dem Wortsinn sanktioniert die Formulierung bereits einen ausdrücklichen und ernsthaften, auch außergerichtlichen Versuch, den Pflichtteil zu erhalten, unabhängig davon, ob der Fordernde den Pflichtteil beziffert oder diesen tatsächlich erhält (vgl. näher NK-Erbrecht/Gierl a.a.O. § 2269 Rn. 99). Diesem kann jedoch nicht der Antrag auf Einziehung des zugunsten der Erblasserin erteilten Erbscheins gleichgestellt werden. Denn damit ist noch kein aktiver Zugriff der Beteiligten zu 1 auf das Nachlassvermögen des Erstversterbenden verbunden, den die von den Ehegatten verwendete Fassung der Klausel (‚verlangt‘) erfordert.“
Kenntnis von der Pflichtteilsstrafklausel erforderlich
Die Eltern errichteten ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie u.a. verfügten: „Sollte eines unserer Kinder nach dem Erstversterbenden den Pflichtteil fordern, soll es auch nach dem Letztversterbenden auf den Pflichtteil beschränkt sein.“
Nach dem Tod der Mutter machte die Tochter mit Schreiben vom 13.11.2003 beim Vater den Pflichtteil geltend und forderte ihn zur Auskunft über den Nachlassbestand auf. Der Vater erteilte mit Schreiben vom 01.12.2003 Auskunft.
Am 16.12.2003 schickte das Nachlassgericht der Tochter die Eröffnungsniederschrift mit einer beglaubigten Abschrift des gemeinschaftlichen Testaments zu.
Die Tochter beanspruchte daraufhin keine Pflichtteilszahlung und erhielt auch keine Zahlung.
Das OLG Rostock sah in dem Vorgang die Pflichtteilsstrafklausel nicht ausgelöst, da die Tochter davon abgesehen habe, ihren Anspruch weiter zu verfolgen, nachdem sie von der Pflichtteilsstrafklausel erfuhr (Beschluss vom 11. Dezember 2014 – 3 W 138/13):
„Subjektiv erfordert die Verwirkung der Pflichtteilsstrafklausel, dass die Beteiligte zu 2) ihren Anspruch auf den Pflichtteil bewusst in Kenntnis der Strafklausel geltend gemacht hat. Das ist zur Überzeugung des Senats nicht der Fall.
Bei Abfassung des Schreibens vom 13.11.2003 war der Beteiligten zu 2) eine Abschrift des Testaments noch nicht übersandt, da es zu diesem Zeitpunkt noch nicht eröffnet war. Dafür, dass es der Beteiligten zu 2) vor dem 13.11.2003 anderweitig bekannt geworden war, dass das Testament eine Strafklausel enthält, ist nichts ersichtlich. Der Beteiligte zu 1) selbst trägt vor, dass beiden Beteiligten das Testament anlässlich eines Gesprächs im Frühjahr 2003 weder vorgelesen noch gezeigt worden sei. Sie seien lediglich darüber unterrichtet worden, dass ihre Eltern ein Berliner Testament errichtet hätten und sie infolge dessen erst nach dem Ableben auch des zweiten Elternteils erben würden. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Pflichtteilsstrafklausel durch die Eltern sei nicht erfolgt. Doch sei bekannt, dass derartige Klauseln in Testamenten wie diesem üblich seien. Eine positive Kenntnis der Beteiligten zu 2) von der verwendeten Klausel trägt dies nicht.“
Patchwork-Familie
Sind die Kinder keine gemeinsamen Kinder, d.h. stammen sie nur von einem der Ehegatten ab, kann die Pflichtteilsstrafklausel dahin auszulegen sein, dass Kinder, die nach dem zuerst versterbenden Elternteil den Pflichtteil verlangen, nach dem länger lebenden Stiefelternteil zwar nicht mehr Erbe werden, aber noch ein Geldvermächtnis in der Höhe erhalten, die anfallen würde, wenn sie nach dem Stiefelternteil pflichtteilsberechtigt wären (OLG Celle, Beschluss vom 12. November 2009 – 6 W 142/09).
Keine nachträgliche Enterbung
Die Eheleute hatten in einem Erbvertrag als Pflichtteilsstrafklausel aufgenommen: „Verlangt ein Abkömmling auf den Tod des Zuerststerbenden unter Ausschlagung des Vermächtnisses den Pflichtteil, dann ist er und seine Abkömmlinge von der Erbfolge am Überlebenden ausgeschlossen.“
Nachdem zuerst der Vater und dann die Mutter verstorben waren, machte die Tochter im Rahmen der Nachlassangelegenheit nach der Mutter den Pflichtteil nach dem Vater geltend. Ihr Bruder meinte, damit habe sie nun die Pflichtteilsstrafklausel ausgelöst und sei nach der Mutter enterbt.
Das OLG Stuttgart folgte dem nicht (Beschluss vom 11. August 2017 – 8 W 336/15), denn eine Pflichtteilsstrafklausel könne nur zu Lebzeiten des länger lebenden Elternteils ausgelöst werden, nicht nachdem beide Eltern verstorben sind:
„Denn es liegt wie bereits ausgeführt hier gerade nicht der Fall einer Schlusserbeneinsetzung mit Pflichtteilsstrafklausel vor, wie er etwa auch der vom Beteiligten Ziff. 1 zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.07.2006 (NJW 2006, 3064) zugrunde lag. Vielmehr wurde im Erbvertrag vom 02.10.1951 wie ausgeführt keine Erbeinsetzung auf den zweiten Todesfall geregelt, sondern durch die hier gewählte Pflichtteilsstrafklausel lediglich eine aufschiebend bedingte Enterbung gemäß § 1938 BGB verfügt. Die Erbfolge bestimmt sich hier nach dem Gesetz. Da aber die gesetzliche Erbfolge mit dem Eintritt des Erbfalls festliegt, kann sie nicht von Ereignissen nach dem Erbfall abhängen, deren Wirkung nicht wie bei der Ausschlagung oder der Feststellung der Erbunwürdigkeit auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückzubeziehen ist (vgl. Otte in: Staudinger, Bürgerliches Gesetzbuch, Neubearbeitung 2017, § 1938 BGB, Rdnr. 6a). Eine Enterbung kann daher nur dergestalt bedingt angeordnet werden, dass sie von einem vor dem Erbfall eintretenden Ereignis abhängig gemacht wird; im Übrigen ist die Enterbung bedingungs- und befristungsfeindlich (Otte in: Staudinger, a.a.O.).“
Pflichtteil trotz Pflichtteilsstrafklausel
In vielen Fällen ist es wirtschaftlich sinnvoll, den Pflichtteil nach dem zuerst versterbenden Elternteil geltend zu machen, auch wenn man dadurch nach dem später versterbenden Elternteil enterbt wird und nur den Pflichtteil erhält.
Beispiele:
- Die Erbeinsetzung nach dem länger lebenden Elternteil ist nicht gesichert. Ist der länger lebende Elternteil frei, seine Erbfolge zu regeln, kann es zu einer Enterbung des Kindes kommen, auch wenn das Kind den Pflichtteil nach dem zuerst versterbenden Elternteil nicht geltend gemacht hat.
- Der Nachlass wird verbraucht. Besteht die Gefahr, dass der länger lebende Elternteil den Nachlass verbrauchen wird, etwa für Pflegeaufwendungen oder mit einer neuen Partnerin/einem neuen Partner, bringt die Erbenstellung nach ihm nichts mehr.
- Der länger lebende Elternteil hat noch eine lange Lebenserwartung. Hat der länger lebende Elternteil noch eine lange Lebenserwartung, kann es aus Sicht des Kindes, besser sein, den Pflichtteil zu beanspruchen und damit früh etwas zu erhalten, als auf die Erbschaft zu warten.
In diesen Konstellationen gilt das alte Sprichwort: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.