Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs an einen Miterben – Welche Voraussetzungen gelten?

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 11. März 2025 von Tobias Goldkamp

Die gerichtliche Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs an einen Miterben sorgt häufig für Streit unter Erben. Besonders relevant ist die Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuweisungsvoraussetzungen ausschlaggebend ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 22. November 2024 (BLw 1/24) hierzu eine wegweisende Entscheidung getroffen.

Der Fall: Streit um die Übernahme eines landwirtschaftlichen Betriebs

Nach dem Tod einer Erblasserin im Jahr 2017 entstand eine Erbengemeinschaft aus mehreren Miterben. Eine Miterbin beantragte die Zuweisung der landwirtschaftlichen Grundstücke samt Hofstelle. Sie argumentierte, dass sie den Betrieb bereits zu Lebzeiten der Erblasserin mitbewirtschaftet habe und ihn nach deren Tod auf ökologische Landwirtschaft umgestellt habe.

Das Landwirtschaftsgericht wies den Antrag ab, weil die Erträge des Betriebs zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht ausgereicht hätten, um den Unterhalt einer bäuerlichen Familie zu sichern. Auch das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main lehnte die Zuweisung ab und argumentierte, dass ein Gesamthandsanteil an einer Erbengemeinschaft nicht zuweisungsfähig sei.

Die Miterbin legte Rechtsbeschwerde beim BGH ein – mit Erfolg.

BGH: Sachliche und persönliche Voraussetzungen sind getrennt zu beurteilen

Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf und stellte klar:

  • Für die sachlichen Voraussetzungen der Zuweisung kommt es auf den Zeitpunkt des Erbfalls an. Der Betrieb muss zu diesem Zeitpunkt existiert haben und die erforderliche Ertragsfähigkeit besitzen.
  • Für die persönliche Eignung des Erwerbers ist hingegen der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich.

Wörtlich heißt es in der Entscheidung:

„Fällt ein landwirtschaftlicher Betrieb in den Nachlass einer durch gesetzliche Erbfolge entstandenen Erbengemeinschaft, setzt eine gerichtliche Zuweisung der Betriebsgrundstücke an einen Miterben voraus, dass die sachlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 GrdstVG im Zeitpunkt des Erbfalls vorliegen und zur Zeit der Zuweisungsentscheidung nicht entfallen sind. Demgegenüber kommt es für die persönliche Eignung des Zuweisungsempfängers nach § 15 Abs. 1 Satz 3 GrdstVG allein auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Zuweisungsentscheidung an.“

Diese Differenzierung ist entscheidend für zukünftige Erbfälle, in denen um die Zuweisung von landwirtschaftlichen Betrieben gestritten wird.

Ertragsfähigkeit: Es kommt nicht auf tatsächliche, sondern auf erwirtschaftbare Erträge an

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Frage der wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Betriebs. Hier stellte der BGH klar:

„Für die ausreichende Ertragsfähigkeit eines landwirtschaftlichen Betriebes im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 GrdstVG kommt es nicht auf die tatsächlich erwirtschafteten, sondern auf die erwirtschaftbaren Erträge an.“

Das bedeutet, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb nicht aufgrund kurzfristiger wirtschaftlicher Schwankungen oder einer ineffizienten Bewirtschaftung als ungeeignet eingestuft werden darf.

Missverhältnis zwischen Verkehrswert und Ertragswert als Ablehnungsgrund?

Ein weiteres Problem in diesem Fall war das Missverhältnis zwischen dem Verkehrswert der landwirtschaftlichen Flächen und dem Ertragswert des Betriebs. Die weichenden Erben erhalten nach § 16 GrdstVG eine Abfindung zum Ertragswert – dieser liegt jedoch oft deutlich unter dem tatsächlichen Marktwert der Grundstücke.

Das OLG Frankfurt am Main hatte dies als Argument gegen eine Zuweisung herangezogen. Der BGH folgte dem im Grundsatz:

„Ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem Verkehrswert des landwirtschaftlichen Betriebes und dem Ertragswert kann die Zuweisung ausschließen.“

Allerdings hatte das OLG keine konkreten Feststellungen zum Verhältnis von Ertrags- und Verkehrswert getroffen, weshalb die Sache zur erneuten Prüfung zurückverwiesen wurde.

Praxishinweise für Miterben und Erbengemeinschaften

Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Nachlassabwicklung in der Landwirtschaft:

  1. Der Nachlassbetrieb muss bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls bestehen. Eine nachträgliche Verbesserung durch einen Miterben reicht nicht aus.
  2. Für die persönliche Eignung kommt es auf den Zeitpunkt der Zuweisungsentscheidung an. Wer den Betrieb erst nachträglich bewirtschaftet, kann dennoch geeignet sein.
  3. Die Abfindung weichender Erben erfolgt zum Ertragswert. Ein großer Unterschied zum Verkehrswert kann die Zuweisung gefährden.
  4. Gerichte müssen prüfen, ob ein lebensfähiger Betrieb vorliegt. Dabei kommt es nicht auf kurzfristige Schwankungen an, sondern auf nachhaltig erwirtschaftbare Erträge.

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Die gerichtliche Zuweisung eines landwirtschaftlichen Betriebs kann kompliziert sein und ist oft mit Streit innerhalb der Erbengemeinschaft verbunden. Unsere Kanzlei für Erbrecht berät Sie kompetent zur Erbauseinandersetzung, Zuweisung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz und zur Abfindung weichender Erben.

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Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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