Zuwendungsverzicht eines Stiefkinds: Keine automatische Erstreckung auf Abkömmlinge

Tobias Goldkamp

Veröffentlicht am 25. September 2024 von Tobias Goldkamp

In einer wichtigen Entscheidung hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle klargestellt, dass der Zuwendungsverzicht eines Stiefkinds des Erblassers sich nicht automatisch auf dessen Abkömmlinge erstreckt. Der Beschluss vom 17. April 2023, Az. 6 W 37/23, beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Grenzen der Erstreckung eines Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge der verzichtenden Person.

1. Hintergrund der Entscheidung

Im zugrunde liegenden Fall hatte die Stieftochter der Erblasserin im Rahmen eines notariellen Vertrags auf ihre Erbansprüche verzichtet. Dieser Verzicht war im Zusammenhang mit einer Erbauseinandersetzung und einer Zuwendung der Erblasserin erfolgt. Die Stieftochter erklärte in dem Vertrag, dass sie „für sich persönlich und für ihre Abkömmlinge“ auf alle Erbansprüche verzichte. Nach dem Tod der Erblasserin stellte sich die Frage, ob dieser Verzicht auch ihre Tochter, die Enkelin des Erblassers, bindet.

2. Kernaussagen des Gerichts

a) Keine automatische Erstreckung des Zuwendungsverzichts

Das OLG Celle stellte fest, dass der Zuwendungsverzicht der Stieftochter sich nicht automatisch auf deren Abkömmlinge erstreckt, sofern diese im Erbvertrag ausdrücklich als Ersatzerben bestimmt wurden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Stieftochter weder ein Abkömmling noch ein Seitenverwandter des Erblassers ist und der Zuwendungsverzicht nicht mit einer vollständigen Abfindung verbunden war.

b) Anwendung des § 2349 BGB

Die Richter führten aus, dass die Vorschrift des § 2349 BGB, die regelt, dass der Verzicht eines Abkömmlings oder Seitenverwandten des Erblassers auch dessen Abkömmlinge erfasst, auf den vorliegenden Fall keine Anwendung findet. Der Grund liegt darin, dass die Stieftochter keine Verwandte des Erblassers ist. § 2349 BGB greift nur bei direkter Verwandtschaft, nicht jedoch bei Stiefkindern.

c) Berücksichtigung der Ersatzerbenregelung

Da die Abkömmlinge der Stieftochter im Erbvertrag ausdrücklich als Ersatzerben bestimmt wurden, schloss das OLG Celle eine Erstreckung des Verzichts auf diese Abkömmlinge aus. Der Erbvertrag sieht in solchen Fällen eine klare Regelung vor, die auch durch den Zuwendungsverzicht der Stieftochter nicht außer Kraft gesetzt wird.

3. Praxisrelevanz

a) Sorgfältige Vertragsgestaltung

Die Entscheidung des OLG Celle unterstreicht die Notwendigkeit einer präzisen Vertragsgestaltung bei Zuwendungsverzichten. Es sollte ausdrücklich festgelegt werden, ob und inwieweit sich ein Verzicht auf die Abkömmlinge erstreckt, insbesondere wenn diese im Erbvertrag als Ersatzerben vorgesehen sind.

b) Bedeutung für Patchwork-Familien

Insbesondere in Patchwork-Familien, in denen häufig Stiefkinder involviert sind, sollten erbrechtliche Gestaltungen und Verzichtserklärungen besonders sorgfältig geprüft werden. Die rechtliche Stellung von Stiefkindern und deren Abkömmlingen unterscheidet sich erheblich von derjenigen von leiblichen Kindern, was bei der Nachfolgeplanung berücksichtigt werden muss.

Fazit

Der Zuwendungsverzicht einer Stieftochter erstreckt sich nicht ohne weiteres auf deren Abkömmlinge, wenn diese als Ersatzerben im Erbvertrag eingesetzt wurden. Die Entscheidung des OLG Celle verdeutlicht die Bedeutung einer klaren und detaillierten vertraglichen Regelung in Erbangelegenheiten, insbesondere in komplexen familiären Konstellationen. Für eine rechtssichere Gestaltung ist eine umfassende rechtliche Beratung unerlässlich.

Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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