Testierfähigkeit und Richtervorbehalt: Entscheidung des OLG München

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 17. Februar 2025 von Tobias Goldkamp

Das Oberlandesgericht München hat in seinem Beschluss vom 18. Dezember 2024 (Az.: 33 Wx 153/24) entschieden, dass die Testierunfähigkeit eines Erblassers nur unter Einhaltung strenger rechtlicher Vorgaben festgestellt werden darf. Gleichzeitig hob das Gericht hervor, dass komplexe Nachlassverfahren, insbesondere solche mit widerstreitenden Interessen, von einem Richter und nicht einem Rechtspfleger bearbeitet werden müssen.

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Der Fall

Eine ledige und kinderlose Erblasserin hatte ihre Großnichte in einem eigenhändigen Testament vom 29. Januar 2020 zur Alleinerbin bestimmt. Nach dem Tod der Erblasserin verweigerte das Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins an die Großnichte und erklärte das Testament für unwirksam. Grundlage dieser Entscheidung war ein Sachverständigengutachten aus einem Betreuungsverfahren, das eine mögliche Testierunfähigkeit der Erblasserin aufgrund einer Demenzerkrankung nahelegte.

Die Großnichte legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und argumentierte, dass die Testierunfähigkeit nicht zweifelsfrei nachgewiesen sei. Das Nachlassgericht hatte bei seiner Entscheidung weder den Sachverständigen zur weiteren Klärung hinzugezogen noch alle relevanten Beweise ordnungsgemäß gewürdigt.

Entscheidung des Gerichts

Das OLG München hob die Entscheidung des Nachlassgerichts auf und stellte klare Anforderungen für den Umgang mit der Testierfähigkeit sowie die Zuständigkeit im Nachlassverfahren auf:

  1. Testierfähigkeit und Amtsermittlungspflicht
    • Die Beurteilung der Testierfähigkeit erfordert eine umfassende Amtsermittlung. Das Nachlassgericht darf nicht allein auf Basis von Zeugenaussagen oder früheren Gutachten entscheiden, ohne den Sachverständigen erneut zu hören.
    • Das Gericht betonte, dass ein Richter nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, um die Testierfähigkeit ohne fachpsychiatrische Unterstützung abschließend zu beurteilen.
  2. Verstoß gegen rechtliches Gehör
    • Die Großnichte hatte keine Gelegenheit, zum Verfahrensstoff vollständig Stellung zu nehmen, da relevante Beweismittel nicht offengelegt wurden. Dies verletzte ihren Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
  3. Richtervorbehalt bei streitigen Verfahren
    • Das Verfahren hätte aufgrund der widerstreitenden Interessen der Beteiligten und der komplexen Beweisaufnahme nicht von einem Rechtspfleger, sondern von einem Richter bearbeitet werden müssen.
    • Der Richtervorbehalt gilt insbesondere in Fällen, in denen umfangreiche Beweisaufnahmen erforderlich sind oder abweichende Interessenlagen eine differenzierte rechtliche Bewertung verlangen.

Bedeutung der Entscheidung

Das Urteil des OLG München stärkt die Rechte von Erben, die sich auf ein Testament berufen, und setzt Maßstäbe für die ordnungsgemäße Prüfung der Testierfähigkeit. Gleichzeitig unterstreicht es die Bedeutung des Richtervorbehalts in komplexen Nachlassverfahren.

Fazit

Die Entscheidung zeigt, wie wichtig eine gründliche Prüfung der Testierfähigkeit und die Einhaltung verfahrensrechtlicher Vorgaben sind. Sollten Sie Zweifel an der Gültigkeit eines Testaments oder der Zuständigkeit im Nachlassverfahren haben, beraten wir Sie umfassend. Kontaktieren Sie uns für eine individuelle rechtliche Einschätzung.

Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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