Möglichkeiten der Wertermittlung bei einem Pflichtteilsberechtigten

Ann-Kristin Wedemeyer
Veröffentlicht am 5. Februar 2024 von Ann-Kristin Wedemeyer

Hat der Mandant einen Anspruch auf Auskunftserteilung gem. § 2314 Abs. 1 BGB, stellt sich die Frage, wie mit der Ermittlung des Wertes eines im Nachlass vorhandenen Grundbesitzes im Interesse des Mandanten sinnvoll zu verfahren ist. In Betracht kommen die Aufforderung an den Gegner, ein Gutachten erstellen zu lassen, ein eigenes Gutachten zu erstellen oder ein Sachverständigengutachten über das selbständige Beweisverfahren anzufordern.

Unterlagen und Sachverständigengutachten 

Nach § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird. Dafür kann er die Vorlage all derjenigen Unterlagen verlangen, die für die konkrete Wertberechnung des tatsächlich vorhandenen Nachlasses, ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, erforderlich sind.[1] Zur Beauftragung des Gutachtens und zur Mitwirkung ist der Erbe verpflichtet.[2] Ist eine Immobilie vermietet, ist er verpflichtet, eine Begehung durch den Sachverständigen zu ermöglichen.[3]

Der Erbe kann sich den Gutachter aussuchen.[4] Der Gutachter muss zwar grundsätzlich unparteiisch sein,[5] praktisch wird dieser aber im Interesse des ihn beauftragten Erben tätig. Ein Anspruch auf einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen besteht nicht.[6] Maßgeblich ist allein, dass der Wert des Grundbesitzes durch einen unparteiischen Sachverständigen ermittelt wird.[7]

Kosten trägt der Erbe

Die Kosten fallen als Nachlassverbindlichkeiten dem Nachlass zur Last, § 2314 Abs. 2 BGB. Sie sind keine Kosten des Rechtsstreits nach § 91 ZPO und finden keine Berücksichtigung bei der Kostenfestsetzung nach §§ 103 ff. ZPO.[8]

Keine Bindung

Der Zweck des Wertermittlungsanspruchs gegen den Erben besteht darin, dem Pflichtteilsberechtigten die Beurteilung des Risikos eines Rechtsstreits über den Pflichtteil zu erleichtern. Jedoch nicht darin, den Wert verbindlich festzulegen.[9] Der Gutachter wird zwar im Interesse des Erben tätig, der Pflichtteilsberechtigte ist jedoch an den ermittelten Wert nicht gebunden. Das erstellte Gutachten weist keine Beweiskraft in einem folgenden Rechtsstreit auf. Es hat lediglich einen Indizwert, der dem substantiierten Sachvortrag dient. Der Pflichtteilsberechtigte hat keine Sicherheit, dass der im Gutachten angegebene Wert einen Mindestwert darstellt. Das Gericht beziffert nach freier Beweiswürdigung mit Hilfe eines hinzugezogenen Sachverständigengutachtens den Wert nach eigener Beurteilung. Lediglich in einem außerprozessualen Rechtsstreit, kann das durch den Erben eingeholte Gutachten eine gewisse Orientierung darstellen.

Auswahl des Sachverständigen

Sinnvoll ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Erben, wenn der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten gegenüber skeptisch ist und die Möglichkeit einer außerprozessualen Einigung besteht. Zu empfehlen ist jedoch, dass der Pflichtteilsberechtigte drei öffentlich bestellte und vereidigte unparteiische Sachverständige vorschlägt, von denen der Erbe wiederum einen aussuchen kann. Sollte die Bewertung auch nach Einholung eines Gutachtens streitig sein und in einen Prozess eingetreten werden, entstehen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zusätzliche Kosten, die dem Erben und somit dem Nachlass zur Last fallen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens kann einen Prozess über 1-2 Jahre in die Länge ziehen. Darauf ist der Mandant in den Gesprächen zur außerprozessualen Einigung hinzuweisen.

Alternative: Gutachten selbst einholen 

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass der Pflichtteilsberechtigte selbst ein Sachverständigengutachten erstellen lässt. Dadurch kann er pro aktiv den Prozess der Wertermittlung in die eigene Hand nehmen und einen Sachverständigen beauftragen, der in seinem Interesse tätig wird.

Grundsätzlich ist der Pflichtteilsberechtigte selbst nicht berechtigt, anstelle des Erben ein Gutachten einzuholen und Befriedigung der entstandenen Kosten aus dem Nachlass zu verlangen.[10] Die Kosten für das Sachverständigengutachten trägt der Pflichtteilsberechtigte selbst.[11] Allerdings besteht die Möglichkeit, dass in einem späteren Prozess diese Kosten erstattet werden. Dies ist dann der Fall, wenn ein Sachverständigengutachten notwendig ist, um der Darlegungspflicht nachkommen zu können.[12] Das OLG Köln führt dazu aus:

„Die Kosten eines Privatgutachtens sind nur insoweit erstattungsfähig, als es zur Überprüfung und Widerlegung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens oder zur Wiederherstellung der Waffengleichheit objektiv erforderlich und geeignet und damit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war.“[13]

Notwendig ist insoweit, dass es entweder darum geht, ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern.[14] Oder aber die Waffengleichheit wiederherzustellen, nachdem der Erbe seinerseits ein Privatgutachten eingeholt hat.[15] Allerdings greift dies dann nicht, wenn ein Sachverständigengutachten schon zuvor eingeholt wurde.

Grundsätzlich kann der Pflichtteilsberechtigte die Vorlage von Informationen und Unterlagen sowie die Duldung aller erforderlichen Maßnahmen vom Erben fordern, damit er selbst die Wertermittlung vornehmen kann.[16] Darunter zählen all die Unterlagen, die für die konkrete Wertberechnung des tatsächlich vorhandenen oder fiktiven Nachlasses ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen erforderlich sind.[17] Sind Grundstücke im Nachlass, so kann der Pflichtteilsberechtigte die Herausgabe von Grundbuchauszug, Grundrisszeichnungen, Angaben über neuere Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten, Kontaminierungen über wertbestimmende Innen- und Außenausstattungen sowie ggf. Mietverträge zur Ertragswertermittlung fordern.[18]

Gutachten selbst einholen?

Fraglich ist jedoch, wann dem Mandanten zu empfehlen ist, eigenständig ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Nachteil der eigenständigen Einholung eines Sachverständigengutachtens ist die Kostenlast, die nicht unter die Nachlassverbindlichkeiten fällt. Ebenfalls erhält der Pflichtteilsberechtigte trotz Kostenlast keine Sicherheit für den ermittelten Wert, da keine Bindungswirkung besteht.

Ein Vorteil ist jedoch, dass der Pflichtteilsberechtigte bei der Einholung eines weiteren Gutachtens, zu dem bereits von dem Erben eingeholten Gutachten, einen fundierten Wert erhält, den er einem Vergleichsvorschlag zugrunde legen kann. Die Parteien hätten somit zwei durch ihre Sachverständigen ermittelte Werte, die ein Grundlage schaffen, um sich in der Mitte zu einigen.

Ein weiterer Vorteil, die Wertermittlung nicht vom Erben zu verlangen, liegt darin, dass der Erbe sich nicht selbst um ein Gutachten kümmern muss und insoweit entlastet wird. Der Pflichtteilsberechtigte kann durch den Aufwand und die Kostentragung dem Erben entgegenkommen, und damit versuchen, Verständnis zu schaffen und den Familienfrieden zu wahren. So macht er zwar als „böses“ Familienmitglied seinen Pflichtteil geltend, wirkt jedoch selbst mit, indem er sowohl Aufgaben als auch Lasten übernimmt.

Weitere Alternative: Selbständiges Beweisverfahren

Eine weitere Variante ist die Bewertung im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens nach §§ 485 ff. ZPO.

Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand oder der Wert einer Sache festgestellt wird, § 485 Abs. 2 S. 1, Nr. 1 ZPO. Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Die Gebühren muss zunächst der Antragsteller zahlen. Im selbständigen Beweisverfahren ergeht grundsätzlich keine isolierte Kostenentscheidung. Die Kosten trägt die Partei, die im späteren Hauptverfahren unterliegt. Ergeht später nach Fristsetzung durch das Gericht gem. § 494a ZPO kein Hauptsacheverfahren, trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens.

Der Gegenstandswert eines selbständigen Beweisverfahrens bemisst sich nach der Differenz der Höhe des Pflichtteils, die sich aufgrund der unterschiedlichen Vorstellungen über die Höhe des Objektwertes errechnet.[19] Gibt die gegnerische Partei beispielsweise einen Grundbesitzwert in Höhe von 300.000,- EUR an, der Pflichtteilsberechtigte geht aber von einem Wert von 600.000,- EUR aus, so liegt die Differenz bei 300.000,- EUR. Für den Gegenstandswert muss nunmehr ausgerechnet werden, in welcher Höhe sich der Differenzbetrag auf die Pflichtteilshöhe auswirkt.

Das selbständige Beweisverfahren dient dem Ziel, die Beweismittel zu sichern und zugleich in einem beschleunigten Verfahren Rechtssicherheit über den Wert der entsprechenden Objekte zu erhalten. Beruft sich später eine Partei im Prozess auf Tatsachen, über die selbständig Beweis erhoben worden ist, so steht die selbständige Beweisaufnahme einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich.

Der Vorteil des selbständigen Beweisverfahrens ist, dass der Streit über die Wertermittlung zwischen den Parteien vollumfänglich ausgeräumt wird und somit der Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs greifbarer wird.

Nachteilig ist, dass der Wert der Immobile nach dem durchgeführten Verfahren feststeht, eine Näherung damit ausscheidet und der Antragsteller die Kosten zu tragen hat.

Sollte es nach durchgeführtem selbständigen Beweisverfahren dennoch zu keiner Einigung kommen und ein Hauptsacheverfahren anhängig werden, trägt in der Regel der Erbe die Kosten des Verfahrens inklusive der des selbständigen Beweisverfahrens. Das Hauptsacheverfahren kann ohne Beweisverfahren schnell zum Abschluss kommen.

Mögliche Vorgehensweise

Liegt die Differenz der Wertvorstellungen nicht weit auseinander und sind die Parteien willig, sich zu einigen, sollte der Pflichtteilsberechtigte drei unparteiische Gutachter in der Nähe des zu bewertenden Objektes vorschlagen und den Erben auffordern, einen der Gutachter zu beauftragen. Dadurch gewinnen beide Parteien Vertrauen in den Sachverständigen und damit auch in die durch ihn benannten Werte.

Sollte keine Einigung in Sicht sein, weil die Parteien in ihren Vorstellungen zu weit auseinander liegen oder sich zunächst gar nicht einigen wollen, ist zu empfehlen, zunächst das selbständige Beweisverfahren zu wählen. Dadurch besteht in relativ kurzer Zeit eine rechtliche Bindung hinsichtlich des Verkehrswertes des Objektes, die doch noch zu einer außergerichtlichen Einigung führen kann. Können sich die Parteien dennoch nicht einigen, kommt es zu dem zu erwartenden Prozess, nach dem später der Verlierer die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens und die des Prozesses im Wege der Kosteneinheit zu tragen hat.

Ist es für den Pflichtteilsberechtigten besonders wichtig, den Familienfrieden zu wahren, ist es vorteilhaft, gegenüber dem Erben mit einem eigenen Angebot, abgerundet mit einem selbst eingeholten Gutachten, aufzutreten und den Erben somit zu entlasten.

Beratung

Für einen Anwalt ist es wichtig, die Interessen seines Mandanten bestmöglich zu vertreten. Dafür ist es erforderlich, sich ein konkretes Bild von der Situation zu verschaffen, in der sich sein Mandant befindet. Dazu gehört auch, einen Überblick über die Familiensituation und die Strukturen zu erhalten, insbesondere über die einzelnen Beziehungen zwischen den Erben und dem Pflichtteilsberechtigten. Nur bei bestmöglicher Kenntnis, ist es dem Anwalt möglich, seinen Mandanten auch gut zu vertreten und die richtige Variante der Wertermittlung für ihn zu ermitteln.


[1] LG Düsseldorf v. 9.10.2018 – 1 O 379/17; ErbR 2019, 63,. Anm. Horn; OLG Düsseldorf 7 U 161/18; Herzog Staudinger 2314 Rn. 117-119.

[2] Herzog, in: Staudinger, § 2314 Rn. 253, 264.

[3] OLG Düsseldorf ErbR 2020, 733; Staudinger/Herzog (2021) BGB § 3414 Rn. 265, 267; BayObLG NJW-RR 1989, 462.

[4] Lange, in: MüKo, 2314 Rn. 21; Müller-Engels in: beck-OK, 2314 Rn. 32.

[5] OLG Düsseldorf v. 17.5.1996 – 7 U 126/95 – NJW-RR 1997, 454; OLG Köln v. 26.10.2011 – 2 U 53/11 – juris Rn. 19; Beck OK § 2314 Rn. 32, herzog, in: Staudinger 3 2314 Rn. 122, palamdt, 2314 Rn. 15.

[6] BGH Urteil v. 29.9.2021 – IV ZR 328/20.

[7] Senatsurteil vom 30. Oktober 1974 – IV ZR 41/73, NJW 1975, 258; OLG Köln FamRZ 2012, 483, 484 BGH Urteil v. 29.09.2021 – IV ZR 328/20.

[8] Birkenheier in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 2314 BGB (Stand: 09.01.2023) Rn. 111.

[9] BGH v. 29.9.2021 – IV ZR 328/20; BGH v. 19.4.1989 – Iva ZR 85/88; BGHZ 107, 100, Staudinger, 2314 Rn. 126.

[10] OLG Köln v. 16.04.2018 – 17 W 39/18 – ErbR 2018, 541; OLG Karlsruhe NJW-RR 1990, 393; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 454; Lange in: MüKo BGB, 2314 Rn 18, 21; Edenfeld, ZErb 2005, 346, 350.

[11] OLG Karlsruhe v. 22.12.1989 – 10 U 103/89 – NJW-RR 1990, 393; Wedlich in: Palandt, 2314 Rn. 18.

[12] Erbr 2018, 541. – Autor???

[13] OLG Köln v. 16.4.2018 – 17 W 39/18.

[14] vgl. Senat BauR 2002, 665 und Beschluss vom 15. November 2004, Az. 8 W 394/04; OLGR Bamberg 2000, 268; OLG Koblenz AGS 2002, 117; OLG Frankfurt IBR 2003, 177; OLG Celle BauR 2003, 588; Herget in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rn. 13 „Privatgutachten“.

[15] OLGR Naumburg 2007, 421; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11. Juli 2007 – 8 W 265/07.

[16] Herzog, in: Staudinger, § 2314 Rn. 253.

[17] BGH FamRZ 1965, 135, 136; OLG Köln ZEV 2006, 77, 78 = ZErb 2006, 236; OLG Oldenburg NJW 1974, 2093; OLG Düsseldorf FamRZ 1997, 58, 59; MünchKomm/Lange Rn 19; BeckOK/Müller-Engels Rn 26, 30; Damrau/Tanck/Riedel Rn 48; Schneider ZEV 2011, 353; NK-BGB/Bock Rn 33 anders dagegen Soergel/Dieckmann [13. Aufl] Rn 29; ders NJW 1988, 1809, 1811; ders FamRZ 1984, 880; Herzog in: Staudinger, § 2314 Rn. 255.

[18].Herzog in Staudinger § 2314 Rn. 257.

[19] OLG Hamm, Beschluss vom 26. September 2013 – II-4 WF 181/13.

Ann-Kristin Wedemeyer

Ann-Kristin Wedemeyer
Rechtsanwältin
Tel. 02131/718190

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