Beweiswürdigung: BGH betont die Bedeutung der Gesamtschau von Indizien

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 9. Januar 2025 von Tobias Goldkamp

In seinem Urteil vom 7. November 2024 (Az.: III ZR 79/23) hat der Bundesgerichtshof (BGH) hervorgehoben, dass bei der Beweiswürdigung sämtliche Indizien in ihrer Gesamtheit zu betrachten sind. Eine isolierte Prüfung einzelner Indizien ohne Berücksichtigung ihres Zusammenspiels ist unzulässig und führt zu einer rechtsfehlerhaften Würdigung.

Der Fall

Im zugrunde liegenden Fall ging es um den Vorwurf der Beihilfe zum Betrug in Zusammenhang mit einem betrügerischen Geschäftsmodell. Die beklagte Steuerberaterin wurde beschuldigt, durch ihre berufstypischen Tätigkeiten das „Schneeballsystem“ eines Unternehmens unterstützt zu haben. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen, weil sie die für die Täterschaft sprechenden Indizien jeweils isoliert geprüft hatten und zu dem Schluss kamen, dass keines der Indizien den Nachweis der Täterschaft eindeutig erbringen könne.

Entscheidung des BGH

Der BGH beanstandete die Vorgehensweise der Vorinstanzen und hob deren Urteile auf. Er stellte fest, dass die Beweiswürdigung mehrere grundlegende Fehler aufwies:

  1. Isolierte Betrachtung von Indizien
    Die Vorinstanzen hatten einzelne Belastungsindizien – wie die Kenntnis der Beklagten von finanziellen Ungereimtheiten oder ihre aktive Mitwirkung an zweifelhaften Geschäftspraktiken – unabhängig voneinander geprüft. Der BGH betonte jedoch, dass der Beweiswert von Indizien erst in ihrem Zusammenspiel deutlich wird. Eine Gesamtschau aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände sei zwingend erforderlich.
  2. Überspannte Anforderungen an die Beweisführung
    Der BGH kritisierte, dass die Vorinstanzen von jedem einzelnen Indiz den Nachweis „zwingender Schlüsse“ verlangt hatten. Dies widerspricht der Rechtsprechung, wonach eine richterliche Überzeugung auf einem ausreichenden Maß an Sicherheit basieren kann, das vernünftige Zweifel ausschließt, ohne absolute Gewissheit zu verlangen.
  3. Missachtung von Zeugenaussagen und Prozessstoff
    Der BGH stellte fest, dass zentrale Zeugenaussagen und wesentlicher Prozessstoff unzureichend gewürdigt worden waren. Besonders relevant war eine Zeugenaussage, die auf konkrete Hinweise auf das betrügerische Geschäftsmodell hinwies, welche die Beklagte ignoriert haben soll.

Zitat

Wörtlich heißt es in der Entscheidung des BGH:

„Nach § 286 ZPO hat der Tatrichter ohne Bindung an Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Die Überzeugung des Tatgerichts von einem bestimmten Sachverhalt erfordert keine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Es genügt vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Das Gesetz setzt eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Anders als das BerGer. und (wohl auch) das LG meinen, muss ein Beweisergebnis deshalb nicht „zwingend“ sein (vgl. BGH NJW 1993, 935 (937) und NStZ 2023, 729 Rn. 41). Dies gilt in besonderem Maß bei der Würdigung von Indizien. Denn es ist gerade deren Wesensmerkmal, dass sie isoliert betrachtet keine zwingenden Schlüsse zulassen, sondern ihren Beweiswert erst im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Gesichtspunkte gewinnen (BGH NStZ-RR 2023, 221 Rn. 13).“

Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung des BGH betont die Notwendigkeit einer umfassenden Beweiswürdigung im Zivilprozess. Richter dürfen Indizien nicht isoliert betrachten, sondern müssen deren Beweiswert im Gesamtzusammenhang beurteilen. Dies dient der Wahrung der materiellen Gerechtigkeit und verhindert Fehlurteile, die auf unvollständiger Würdigung des Sachverhalts basieren.

Fazit

Die korrekte Beweiswürdigung ist ein zentraler Aspekt jedes Gerichtsverfahrens. Diese Entscheidung verdeutlicht, wie wichtig es ist, Indizien im Zusammenhang zu betrachten und dabei die Anforderungen an die Beweisführung nicht zu überspannen. Sollten Sie in einen Rechtsstreit verwickelt sein, unterstützt Sie unsere Kanzlei bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche und sorgt dafür, dass alle relevanten Umstände in die Beweiswürdigung einfließen.

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Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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