Das notarielle Nachlassverzeichnis ist ein zentrales Instrument im Pflichtteilsrecht. Es soll Pflichtteilsberechtigten die nötigen Informationen liefern, um ihren Anspruch berechnen zu können. Doch welche Anforderungen muss ein solches Verzeichnis erfüllen?

Zweck des notariellen Nachlassverzeichnisses
Der Erbe ist nach § 2314 BGB verpflichtet, dem Pflichtteilsberechtigten umfassend Auskunft über den Nachlass zu erteilen. Dazu kann der Pflichtteilsberechtigte ein notarielles Nachlassverzeichnis verlangen. Dieses hat den Vorteil, dass es von einer neutralen Instanz erstellt wird und daher eine höhere Verlässlichkeit besitzt als ein vom Erben selbst erstelltes privatschriftliches Verzeichnis.
Das Bundesverfassungsgericht hat das Pflichtteilsrecht als verfassungsrechtlich geschütztes Mindestrecht anerkannt. Der Zweck des § 2314 BGB ist es, Pflichtteilsberechtigten trotz fehlender eigener Informationsquellen eine realistische Durchsetzung ihres Anspruchs zu ermöglichen.
Pflichten des Notars bei der Erstellung des Verzeichnisses
Der Notar muss den Nachlassbestand eigenständig ermitteln. Dabei gilt:
- Umfassende Nachforschungspflicht
- Der Notar darf sich nicht auf Angaben des Erben verlassen, sondern muss selbst recherchieren.
- Er muss Kontoauszüge der letzten zehn Jahre einsehen, um mögliche Schenkungen aufzudecken.
- Auch Grundbucheinträge und Gesellschaftsbeteiligungen sind zu prüfen.
- Auflistung des gesamten Nachlassvermögens
- Das Verzeichnis muss sämtliche Aktiva und Passiva enthalten.
- Auch Schenkungen, die Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen, müssen berücksichtigt werden.
- Ermittlung des fiktiven Nachlasses
- Der Notar muss auch klären, ob Vermögenswerte zu Lebzeiten des Erblassers auf unentgeltliche Weise entzogen wurden.
- Hinweise auf „gemischte Schenkungen“ (z. B. Immobilienübertragungen zu auffällig niedrigen Kaufpreisen) müssen einbezogen werden.
- Wohnungsbegehung
- Der Notar hat die letzte Wohnung des Erblassers zu besichtigen und dort vorhandene Vermögensgegenstände zu erfassen.
- Akten und Dokumente in der Wohnung können weitere Hinweise auf Vermögenswerte liefern.
Grenzen der notariellen Ermittlungspflicht
Trotz seiner umfangreichen Pflichten ist der Notar kein Ermittlungsbeamter. Ihm sind durch die Rechtsprechung klare Grenzen gesetzt:
- Er muss nicht in alle Richtungen ermitteln, sondern nur, wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt.
- Er muss keine rechtlichen Bewertungen vornehmen, etwa ob ein Geschäft als Schenkung oder als regulärer Kauf zu werten ist.
- Er ist nicht verpflichtet, Wertermittlungen durchzuführen oder Gutachten einzuholen.
Rechte des Pflichtteilsberechtigten
Der Pflichtteilsberechtigte hat ein weitreichendes Zuziehungsrecht und kann den Notar auf mögliche Unregelmäßigkeiten hinweisen. Zudem kann er:
- Einsicht in Unterlagen verlangen, die der Notar ausgewertet hat.
- Ergänzende Nachforschungen fordern, wenn begründete Zweifel an der Vollständigkeit des Verzeichnisses bestehen.
- Zwangsmaßnahmen gegen den Erben beantragen, falls dieser nicht mitwirkt.
Fazit
Das notarielle Nachlassverzeichnis ist ein mächtiges Instrument zur Durchsetzung des Pflichtteilsrechts. Es dient der Transparenz, unterliegt aber auch klaren Grenzen. Pflichtteilsberechtigte sollten ihre Rechte kennen und aktiv auf die Vollständigkeit des Verzeichnisses achten.
Tipp für Profis: Mehr dazu, welche Pflichten den Notar treffen und welche Grenzen ihm gesetzt sind, führt Rechtsanwalt Dr. Claus-Henrik Horn im Fachaufsatz „Das notarielle Nachlassverzeichnis: keine Quadratur des Kreises“ in der Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge (ZEV) aus.