Dabei sein ist alles! Das gilt manchmal auch im Pflichtteilsrecht. Der Pflichtteilsberechtigte kann vom Erben verlangen, bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses dabei sein zu dürfen. Das Zuziehungsrecht, geregelt in § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB, gibt dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit, die Erstellung des Verzeichnisses zu überwachen, dazu beizutragen, dass die Nachlasswerte vollständig erfasst sind, und die Qualität der Auskunft zu beurteilen.
1. Recht auf Anwesenheit – Zuziehungsrecht und seine Bedeutung
Das Zuziehungsrecht räumt dem Pflichtteilsberechtigten das Recht ein, bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses anwesend zu sein. Es kann sowohl beim vom Erben selbst erstellten Nachlassverzeichnis geltend gemacht werden als auch beim durch einen Notar aufzunehmenden notariellen Nachlassverzeichnis. Es betrifft insbesondere den Zeitpunkt der tatsächlichen Erfassung und Beurkundung der Nachlassgegenstände.
- Erfassung der Nachlassgegenstände: Der Pflichtteilsberechtigte kann beobachten, wie der Erbe oder der Notar die einzelnen Nachlasswerte erfasst. Dabei kann er Hinweise geben, die die Genauigkeit und Vollständigkeit der Nachlassermittlung verbessern. Es steht ihm jedoch nicht zu, auf den Inhalt direkt Einfluss zu nehmen oder den Erben oder Notar anzuweisen.
- Keine Vorbereitungshandlungen: Das Zuziehungsrecht umfasst nicht die Vorbereitungshandlungen wie die Anforderung von Kontoauszügen oder andere vorbereitende Maßnahmen. Die Anwesenheit des Pflichtteilsberechtigten wird erst ab dem Zeitpunkt der eigentlichen Aufnahme relevant, also wenn der Erbe oder Notar das Verzeichnis aufnimmt.
- Vertretung möglich: Der Pflichtteilsberechtigte muss das Zuziehungsrecht nicht persönlich wahrnehmen, sondern kann sich durch einen Rechtsanwalt oder eine andere bevollmächtigte Person vertreten lassen.
2. Grenzen des Zuziehungsrechts – Keine Einsicht in Belege
Während der Pflichtteilsberechtigte ein umfassendes Recht auf Anwesenheit hat, sind ihm durch das Zuziehungsrecht keine weitergehenden Mitwirkungsrechte, wie etwa die Einsicht in Kontounterlagen, eingeräumt. In der Praxis ergeben sich daraus folgende Beschränkungen:
- Keine Einsicht in Kontoauszüge: Der Pflichtteilsberechtigte hat keinen Anspruch auf Einsicht in die Unterlagen und Belege, die der Notar vom Erben erhält. Diese Einsicht ist weder durch § 2314 BGB noch durch § 809 oder § 810 BGB vorgesehen. Die gesetzlichen Regelungen führen also dazu, dass dem Schutz der persönlichen Daten des Erblassers und der Wahrung der Vertraulichkeit Vorrang gegeben wird.
- Kein Anspruch auf Einsicht in die Handakten des Notars: Das Zuziehungsrecht gewährt kein Recht gegenüber dem Notar und keine Recht auf Einsichtnahme in Akten.
3. Teilnahme an Erörterungsterminen – Austausch mit dem Notar und dem Erben
Ein wichtiger Aspekt des Zuziehungsrechts ist das Recht des Pflichtteilsberechtigten, an Terminen teilzunehmen, bei denen der Erbe dem Notar Auskünfte zum Nachlass erteilt:
- Erörterung des Nachlassumfangs: Der Pflichtteilsberechtigte darf an den Erörterungsterminen zwischen dem Notar und dem Erben teilnehmen. Dies ermöglicht ihm, die Angaben des Erben zur Zusammensetzung des Nachlasses mitzuhören und sich ein Bild über die Qualität der Angaben zu verschaffen.
- Sicherstellung der Vollständigkeit: Durch die Teilnahme an solchen Terminen kann der Pflichtteilsberechtigte nachvollziehen, ob der Erbe alle relevanten Nachlassgegenstände offenlegt und ob es möglicherweise Hinweise auf weitere Nachlasswerte gibt, die noch überprüft werden sollten.
4. Folgen eines Verstoßes gegen das Zuziehungsrecht
Falls das Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten verletzt wird, hat dies zur Folge, dass das Nachlassverzeichnis als formell mangelhaft betrachtet werden muss.
Keine Erfüllungswirkung: Ist das Zuziehungsrecht nicht gewahrt worden, ist der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten nicht erfüllt. Dies bedeutet, dass das Nachlassverzeichnis unter Zuziehung des Pflichtteilsberechtigten erneut aufgenommen werden muss.
Fazit
Das Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten ist ein wertvolles Instrument zur Sicherstellung der Vollständigkeit und Transparenz bei der Nachlassaufstellung. Es gewährt jedoch keine Mitwirkungs- oder Einsichtsrechte, sondern beschränkt sich auf die Anwesenheit bei wesentlichen Schritten der Verzeichnisaufnahme. Pflichtteilsberechtigte, die ihr Zuziehungsrecht geltend machen möchten, sollten rechtzeitig aktiv werden. Bei der Durchsetzung dieses Rechts steht Ihnen unsere Kanzlei beratend zur Seite.