Einziehung eines Erbscheins und der Grundsatz von Treu und Glauben

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat in seinem Beschluss vom 29. Mai 2024 (Aktenzeichen: 10 W 76/23) entschieden, dass die Einziehung eines Erbscheins nach 30 Jahren einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB darstellen kann, wenn die Einziehung von der Person betrieben wird, die den Erbschein selbst beantragt hatte.

1. Einziehung eines Erbscheins: Voraussetzungen nach § 2361 BGB

Ein Erbschein wird vom Nachlassgericht erteilt und stellt eine Vermutung dafür auf, dass die darin aufgeführte Person das Erbrecht hat. § 2361 BGB regelt, dass ein Erbschein eingezogen werden muss, wenn er sich als unrichtig erweist. Dies kann der Fall sein, wenn sich später herausstellt, dass der Erbschein falsch ist, weil beispielsweise ein anderes Testament aufgetaucht ist oder die zugrunde liegenden Tatsachen nicht korrekt waren.

Die Einziehung eines Erbscheins erfolgt durch das Nachlassgericht, wenn:

  • der Erbschein von Anfang an auf falschen Angaben beruhte,
  • die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung nachträglich entfallen sind, oder
  • ein neuer Sachverhalt, wie etwa der Eintritt des Nacherbfalls, vorliegt.

Gründe für die Unrichtigkeit eines Erbscheins

Unrichtig ist ein Erbschein in verschiedenen Fällen:

  • Ein falscher Erbe wurde ausgewiesen oder die Erbfolge ist durch ein neu aufgetauchtes Testament anders geregelt.
  • Der Erbschein berücksichtigt nicht alle erbrechtlichen Verfügungen, wie z. B. Nacherbfolge oder Testamentsvollstreckung.
  • Nachträgliche Änderungen treten ein, etwa durch Anfechtung oder den Eintritt des Nacherbfalls.

Wenn sich der Erbschein als unrichtig erweist, muss das Nachlassgericht diesen von Amts wegen einziehen. In Fällen, in denen der Erbschein nicht unmittelbar eingezogen werden kann, weil er sich im Umlauf befindet, kann das Gericht ihn durch Beschluss für kraftlos erklären.

2. Der Fall vor dem OLG Hamm

Im Fall des OLG Hamm ging es um einen Erbschein, der 1993 ausgestellt wurde und sechs Söhne als Nacherben auswies. Der Antragsteller, der 2022 die Einziehung des Erbscheins beantragte, war einer der Erben und hatte selbst an der Beantragung des Erbscheins mitgewirkt. Nun argumentierte er, dass der Erbschein falsch sei und nur er alleiniger Erbe des Erblassers sei.

Das OLG Hamm entschied jedoch, dass die Einziehung des Erbscheins in diesem Fall nicht erfolgen kann. Der Antragsteller hatte den Erbschein über Jahrzehnte nicht angefochten und wirtschaftliche Entscheidungen im Rahmen der Erbengemeinschaft getroffen. Das Gericht sah hierin ein widersprüchliches Verhalten und wies die Beschwerde mit der Begründung ab, dass die Einziehung des Erbscheins treuwidrig wäre.

Treu und Glauben im Erbrecht

Der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verpflichtet die Verfahrensbeteiligten, ihre Rechte nicht in einer Weise auszuüben, die als widersprüchlich oder missbräuchlich angesehen werden könnte. Da der Antragsteller selbst den Erbschein mitveranlasst hatte und über Jahrzehnte als Miterbe agierte, sah das Gericht den Versuch, den Erbschein nach so langer Zeit anzufechten, als treuwidrig an.

3. Beratung durch unsere Kanzlei

Sollten Sie Zweifel an der Richtigkeit eines Erbscheins haben oder überlegen, einen Erbschein anzufechten, stehen wir Ihnen mit unserer Expertise zur Seite. Wir prüfen, ob die Voraussetzungen für die Einziehung des Erbscheins vorliegen, und unterstützen Sie dabei, Ihre erbrechtlichen Ansprüche erfolgreich durchzusetzen. Unsere erfahrenen Anwälte im Erbrecht beraten Sie umfassend und sichern Ihre Rechte im Nachlassverfahren.

Nach oben scrollen