OLG München zur Anfechtung eines Testaments wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 30. September 2024 von Tobias Goldkamp

In einem erbrechtlichen Streit entschied das Oberlandesgericht (OLG) München über die Anfechtung eines Testaments wegen der Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2079 BGB (Beschluss vom 19. September 2024 – 33 W 1507/24). Der Beschluss zeigt, wie streng die Gerichte die Überprüfung der Erbverfügung eines Erblassers handhaben, insbesondere wenn nachträglich ein Pflichtteilsberechtigter, wie ein Kind, auftaucht, der zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch nicht bekannt war.

1. Sachverhalt

Der Erblasser, der 2023 verstorben ist, hinterließ ein handschriftliches Testament aus dem Jahr 1994, in dem er seine langjährige Lebensgefährtin zur Alleinerbin einer Eigentumswohnung einsetzte. Nach dem Tod des Erblassers focht seine Tochter, die erst 2008 geboren wurde und somit nach der Testamentserrichtung zur Welt kam, das Testament gemäß § 2079 BGB an. Sie argumentierte, dass sie als Pflichtteilsberechtigte übergangen worden sei, da der Erblasser von ihrer Existenz zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung keine Kenntnis hatte.

Die Lebensgefährtin des Erblassers, die im Testament bedacht worden war, beantragte die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch, um ihren Anspruch auf die Wohnung zu sichern. Dieser Antrag wurde in erster Instanz abgelehnt. Die Lebensgefährtin legte Beschwerde gegen diese Entscheidung ein, die nun vom OLG München geprüft wurde.

2. Anfechtung des Testaments nach § 2079 BGB

Gemäß § 2079 BGB kann ein Testament angefochten werden, wenn ein Erblasser einen Pflichtteilsberechtigten übergeht, dessen Existenz ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren wurde. Im vorliegenden Fall war die Tochter des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch nicht geboren, weshalb sie einen Anspruch auf Anfechtung geltend machte.

§ 2079 BGB ist überschrieben mit „Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten“ und lautet:

„Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, soweit anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde.“

3. Entscheidung des OLG München

Das OLG München stellte fest, dass die Anfechtung des Testaments rechtens war, da die Tochter als Pflichtteilsberechtigte übergangen wurde. Weder das Testament noch die weiteren Umstände deuteten darauf hin, dass der Erblasser seine Tochter bewusst von der Erbfolge ausschließen wollte. Nach den gesetzlichen Vermutungen des § 2079 BGB geht man in solchen Fällen davon aus, dass der Erblasser bei Kenntnis der Geburt seines Kindes seine letztwillige Verfügung geändert hätte, um das Kind angemessen zu berücksichtigen.

Das Gericht betonte, dass für eine erfolgreiche Anfechtung keine kausale Verbindung zwischen der Unkenntnis des Erblassers und der testamentarischen Verfügung nachgewiesen werden müsse. Es genügt, dass der Pflichtteilsberechtigte zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch nicht geboren war.

Keine Bestätigung durch Untätigkeit

Das OLG München bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies die Beschwerde der Lebensgefährtin zurück. Es stellte fest, dass ein Verfügungsanspruch auf die Immobilie durch die Lebensgefährtin nicht glaubhaft gemacht wurde, da die Anfechtung des Testaments durch die Tochter wirksam war. Zudem konnte die Lebensgefährtin nicht darlegen, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Geburt seiner Tochter weiterhin den gleichen testamentarischen Willen gehabt hätte.

Das Gericht führte aus, dass es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Erblasser „geflissentlich“ sein Testament nach der Geburt seiner Tochter bestehen ließ, um die Tochter bewusst von der Erbfolge auszuschließen. Die bloße Untätigkeit des Erblassers reiche nicht aus, um eine solche Vermutung zu begründen.

4. Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung des OLG München verdeutlicht die strengen Anforderungen, die an die Anfechtung eines Testaments wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten gestellt werden. Sobald ein Kind, das nach der Errichtung des Testaments geboren wurde, übergangen wird, kann das Testament erfolgreich angefochten werden, sofern nicht eindeutig bewiesen werden kann, dass der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten bewusst von der Erbfolge ausschließen wollte.

Fazit

Der Beschluss des OLG München zeigt die Wichtigkeit einer regelmäßigen Überprüfung von Testamenten, insbesondere bei familiären Veränderungen wie der Geburt eines Kindes. Pflichtteilsberechtigte, die nach der Testamentserrichtung hinzukommen, können unter bestimmten Umständen eine Anfechtung durchsetzen. Unsere Kanzlei unterstützt Sie bei der rechtlichen Prüfung und Durchsetzung Ihrer erbrechtlichen Ansprüche.

Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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