Gehört zum Nachlass eine Unternehmensbeteiligung, ist deren Wert bei der Pflichtteilsberechnung einzubeziehen. Es gelten folgende Grundsätze:
- Als Pflichtteilsberechtigter können Sie verlangen, dass der Erbe den Wert durch einen Sachverständigen ermitteln lässt.
- Die Kosten der Wertermittlung hat der Erbe zu zahlen.
- Als Pflichtteilsberechtigter können Sie sich vom Erben außerdem die Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen sowie der zugrundeliegenden Geschäftsbücher und Belege für die fünf zurückliegenden Jahre vor dem Todestag des Erblassers vorlegen lassen.
- Veräußert der Erbe die Unternehmensbeteiligung, bestehen diese Ansprüche weiter.
- Eine bereits erfolgte Begutachtung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren steht einer erneuten Begutachtung des Verkehrswertes nicht entgegen.
- Dies gilt auch dann, wenn im Gesellschaftsvertrag die Wertermittlung nach dem sog. Stuttgarter Verfahrend zwingend vorgeschrieben ist.
Ausgeführt hat diese Grundsätze das OLG Köln im Urteil vom 10. Januar 2014 – I-1 U 56/13:
„Der Anspruch der Klägerin auf Wertermittlung in Form eines Sachverständigengutachtens ergibt sich aus § 2314 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB. Da sich dem Pflichtteilsberechtigten vielfach ohne sachverständige Hilfe aus den Geschäftsunterlagen die für die Bewertung besonders bedeutsamen stillen Reserven, die Ertragskraft des Unternehmens und der zu berücksichtigende Firmenwert nicht vollständig erschließen lassen, ist es gerechtfertigt, ihm in solchen Fällen einen Anspruch darauf einzuräumen, dass der Wert durch einen unparteiischen Sachverständigen ermittelt wird (ständige Rechtsprechung des BGH, z.B. Urt. v. 30.10.1974, IV ZR 41/73, zit. nach juris, Tz. 35; Urt. v. 08.07.1985, II ZR 150/84, zit. nach juris, Tz. 11; Urt. v. 04.10.1989, IVa ZR 198/88, zit. nach juris, Tz. 12; OLG Köln, Urt. v. 04.03.1998, 13 U 152/97, zit. nach juris Tz. 9; Urt. v. 05.10.2005, 2 U 153/04, juris Tz. 60).
Der Anspruch auf Vorlage der bezeichneten Unterlagen folgt aus § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach der Pflichtteilsberechtigte verlangen kann, dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird. Auch wenn im Allgemeinen kein Anspruch auf Vorlage von Belegen besteht, so ist allgemein anerkannt (z.B. BGH Urt. v. 02.11.1960, V ZR 124/59, zit. nach juris Tz. 19; OLG Köln, Urt. v. 04.03.1998, 13 U 152/97, zit. nach juris, Tz. 2; OLG Düsseldorf Urt. v. 17.05.1996, 7 U 126/95, NJW-RR 1997, 454, 455; Palandt/Weidlich, BGB, 73. Aufl. 2014, § 2314 Rn. 10), dass der gem. § 2314 BGB Auskunftsberechtigte, sofern zum Nachlass ein Unternehmen oder eine Unternehmensbeteiligung gehört, nicht nur Auskunft über den Wert des Unternehmens und der Unternehmensgegenstände verlangen, sondern er darüber hinaus auch die Vorlage der notwendigen Geschäftsunterlagen fordern kann, die ihn in den Stand setzen, die Ermittlung jener Werte selbst vorzunehmen. Zu den danach vorzulegenden Unterlagen gehören außer den Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen des Unternehmens auch die zugrundeliegenden Geschäftsbücher und Belege. Diese Unterlagen können, da für die Ermittlung des Geschäftswerts im Allgemeinen die Ertragslage des Unternehmens in der Vergangenheit von Bedeutung ist, für einen länger zurückliegenden Zeitraum verlangt werden, regelmäßig 5 Jahre.
Die beiden Ansprüche auf Einholung eines Sachverständigengutachtens und auf Vorlage von Belegen sind auch nicht dadurch hinfällig geworden, dass die Gesellschaftsanteile bereits kurz nach dem Erbfall für 10.000,- € veräußert worden sind. Die von der Beklagten diesbezüglich herangezogen Rechtsprechung zur Bewertung von Nachlassgegenständen anhand des im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erbfall tatsächlich erzielten Verkaufserlöses (BGH, Beschluss v. 25.11.2010, IV ZR 124/09, zit. nach juris, Tz. 5) ist vorliegend nicht anzuwenden.
Zwar kann der erzielte Kaufpreis grundsätzlich einen Anhaltspunkt für die Werthaltigkeit eines Unternehmensanteils darstellen. Dies gilt aber nur bei einem Verkauf auf dem freien Markt an einen unbeteiligten Dritten. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Hier erfolgte aufgrund der gesellschaftsvertraglichen Regelungen ein Verkauf an die übrigen Gesellschafter der GmbH, und zwar zu einem Preis, dessen Ermittlung ebenfalls im Gesellschaftsvertrag geregelt ist. Darüber hinaus führt die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 12.03.2012 (GA 15) selbst aus, dass die 10.000,- € aus Kulanz gezahlt worden seien und es sich eher um eine Schenkung gehandelt habe, denn die 10.000,- € würden nicht mit dem wahren Wert des Gesellschaftsanteils übereinstimmen, da der Wert des Unternehmens vielmehr bei 0,- € läge (GA 17). Der BGH hat im o.g. Urteil aber selbst die Einschränkung gemacht, dass die Orientierung am Kaufpreis nur gelten könne, wenn keine außergewöhnlichen Verhältnisse gegeben seien. Genau solche sind hier aber gegeben.
Es kann daher offenbleiben, ob die Rechtsprechung des BGH – wofür aber einiges spricht – aus einem weiteren Grund nicht anwendbar ist. Nach dem Urteil des OLG Frankfurt v. 02.05.2011 (1 U 249/10, zit. nach juris, Tz. 5) soll die Rechtsprechung des BGH zur Bewertung von Nachlassgegenständen anhand des im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erbfall tatsächlich erzielten Verkaufserlöses nicht einschlägig sein, weil sie sich auf die 3. Stufe einer pflichtteilsrechtlichen Stufenklage, d. h. auf die Frage, auf welcher Bewertungsgrundlage der Pflichtteilsanspruch zu errechnen ist, beziehe, während ein nach § 2314 BGB einzuholendes Sachverständigengutachten letztlich nicht der Beantwortung dieser Frage diene, sondern vielmehr der vorläufigen Unterrichtung des Pflichtteilsberechtigten, dem die Beurteilung des Risikos eines Rechtsstreits über den Pflichtteil erleichtert werden soll, etwa eine Einschätzung zu der Frage, ob der tatsächlich erzielte Kaufpreis dem Verkaufswert entspricht oder ob besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine abweichende Bewertung rechtfertigen könnten.
Auch die bereits erfolgte Begutachtung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren und die Bewertung des Steuerberaters der Beklagten (K 18 = AH 86-94), steht einer erneuten Begutachtung des Verkehrswertes nicht entgegen. Die Klägerin muss sich nicht an dieser Bewertungsmethode festhalten lassen. Vielmehr hat der beauftragte Sachverständige im Rahmen des § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB selbstständig ein geeignetes Verfahren zu wählen. Die Festlegung auf ein bestimmtes Verfahren zur Wertermittlung widerspräche dem Informationszweck der Vorschrift (OLG Köln, Urt. v. 04.03.1998, 13 U 152/97, zit. nach juris, Tz. 10; OLG München, Urt. v. 15.01.1988, 14 U 572/87, NJW-RR 1988, 390 f.). Dies gilt insbesondere für die Anwendung des sog. Stuttgarter Verfahrens, da dieses Verfahren gemäß § 12 Abs. 2 ErbStG überwiegend zur steuerrechtlichen Beurteilung angewandt wurde und sich für die Bewertung von Gesellschaftsanteilen andere Verfahren als geeigneter herausgestellt haben. Dabei wird regelmäßig mit der heute herrschenden Auffassung von dem Ertragswert auszugehen sein (BGH, Urt. v. 24.09.1984, II ZR 256/83, zit. nach juris, Tz. 10).
Die Beklagte – jedenfalls gegen den Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch – kann auch nicht einwenden, dass aufgrund der Festschreibungen im Gesellschaftsvertrag zwingend vom sog. Stuttgarter Verfahren zur Wertermittlung des Anteils auszugehen sei. Dies ergibt sich schon aufgrund einer Kontrollüberlegung: Das Pflichtteilsrecht garantiert dem Berechtigten eine gewisse Mindestbeteiligung am Nachlass, gerade auch gegen den Willen des Erblassers, etwa wenn dieser den Berechtigten von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hat. Der vom Pflichtteilsrecht erfasste Anteil am Nachlasswert ist folglich der Dispositionsbefugnis von Todes wegen entzogen (Palandt/Weidlich, BGB, 73. Aufl. 2014, § 2303 Rn. 1). Damit wäre es aber nicht in Einklang zu bringen, wenn der Erblasser mittelbar, etwa durch eine Regelung, wie ein Unternehmensanteil zu bewerten sei, auf den Wert des Nachlasses und damit auch die Höhe des Pflichtteils Einfluss nehmen könnte.“