Sohn enterbt – Enkel pflichtteilsberechtigt!

Im Urteil vom 08.02.2017 legte das Landgericht Hagen drei wichtige Erkenntnisse des Erb- und Pflichtteilsrechtes zugrunde (Az. 3 O 171/14):

  • Entzieht der Erblasser seinem Kind den Pflichtteil, wird der Enkel pflichtteilsberechtigt.
  • Ob ein vorsätzliches Vergehen als „schwer“ und damit zur Pflichtteilsentziehung berechtigend anzusehen ist, ist in Abwägung der betroffenen Grundrechte – Testierfreiheit einerseits und Pflichtteilsrecht andererseits – zu entscheiden.
  • Beim Erb- und Pflichtteilsrecht kommt es auf die rechtliche Abstammung an, die nicht mit der leiblichen Abstammung identisch sein muss.

Im entschiedenen Fall hatte der Sohn den Vater mit der Faust ins Gesicht geschlagen und auf den dann zu Boden gegangenen Vater noch eingetreten. Der Vater enterbte den Sohn und entzog ihm den Pflichtteil. Nachdem der Vater starb, machte das Kind des enterbten Sohnes Pflichtteilsansprüche geltend – mit Erfolg!

Auch Enkeln steht ein Pflichtteilsrecht zu, wenn ihr Elternteil, das Kind des Erblassers ist, aus der Erbfolge ausscheidet. Hierzu kann es nicht nur kommen, wenn das Elternteil vor dem Großelternteil verstorben ist, sondern auch bei einer Pflichtteilsentziehung und Enterbung. Das LG Hagen führt dazu aus: „Das Pflichtteilsrecht wurde dem Vater des Klägers […] wirksam entzogen, mit der Folge, dass der über den durch die Pflichtteilsentziehung vom Pflichtteilsrecht ausgeschlossenen Abkömmling abstammende, entferntere Abkömmling pflichtteilsberechtigt ist (vgl. (BGH, Urt. v. 13.04.2011 – IV ZR 204/09, BGHZ 189, 171 ff., juris Rn. 34 ff.).“

Eine Pflichtteilsentziehung ist nur in den seltensten Fällen wirksam, da die Voraussetzungen streng sind. Vorliegend gelang die Pflichtteilsentziehung. Das LG Hagen erkannte ein vorsätzliches Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB), welches auch als schwer iSv § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB anzusehen sei:

„Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Schwere des Vergehens darauf abzustellen, ob in der Verfehlung eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses zum Ausdruck gebracht wird und sie deshalb eine besondere Kränkung des Erblassers bedeutet (BGH, Urt. v. 01.03.1974 – IV ZR 58/72, juris Rn. 20). Dieser Maßstab deckt sich mit dem für eine Pflichtteilsentziehung wegen körperlicher Misshandlung nach § 2333 Nr. 2 BGB aF – dessen Anwendungsbereich nach dem Willen des Reformgesetzgebers in § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB nF aufgegangen ist (BT-Drs. 16/8954 S. 23) – von der Rechtsprechung aufgestellten Erfordernis einer schweren Pietätsverletzung, d.h. einer schweren Verletzung der dem Erblasser geschuldeten familiären Achtung (BGH, Urt. v. 06.12.1989 – IVa ZR 249/88, BGHZ 109, 306 ff., juris Rn. 16; RG, Urt. v. 21.11.1912 – IV 96/12, SeuffA 68 Nr. 105, S. 199). Zutreffender Weise ist allerdings auf das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der schweren Pietätsverletzung und einer groben Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses zu verzichten. Nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.04.2005 – 1 BvR …/…, BVerfGE 112, 332 ist vielmehr im allgemeineren Sinne auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte abzustellen (MüKoBGB/Lange, 7.Aufl. 2017, § 2333 Rn. 23; BeckOK BGB/G. Müller, 41. Ed. 2016, § 2333 Rn. 13). Das vom Reichsgericht für den Fall der körperlichen Misshandlung gem. § 2333 Nr. 2 BGB aF aufgestellte und vom Bundesgerichtshof inhaltlich auch für § 2333 Nr. 3 BGB aF (§ 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB idF 01.01.2010) übernommene Erfordernis einer schweren Pietätsverletzung stellt schon deshalb kein geeignetes Kriterium zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes der Schwere dar, da jenes dem Familienbild eines autoritär geprägten Eltern-Kind-Verhältnisses des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts entspringt (anschaulich: pr. ALR II 2 § 61; § 1631 Abs. 2 S. 1 BGB idF v. 01.01.1900), welches dem heutigen gesetzlichen Leitbild der Familie längst nicht entspricht, wie besonders augenfällig in den Reformen des § 1631 Abs. 2 BGB zutage tritt (vgl. die Fassungen vom 01.01.1900 mit dem ausdrücklich normierten Züchtigungsrecht des Vaters, über die Fassung vom 01.01.1980 mit dem Verbot entwürdigender Erziehungsmaßnahmen bis schließlich zur Fassung vom 08.11.2000 mit dem ausdrücklich normierten Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung). Richtiger erscheint es daher, unter Berücksichtigung des Wandels des Familienbildes vom Erfordernis einer Pietätsverletzung oder groben Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses abzusehen und den unbestimmten Rechtsbegriff der Schwere des Vergehens durch eine allgemeinere Abwägung der vom Rechtsinstitut der Pflichtteilsentziehung betroffenen Grundrechte – die Testierfreiheit einerseits und das Pflichtteilsrecht andererseits – auszufüllen.

Wie bereits im Auskunftsurteil und im Prozesskostenhilfeverfahren des Vaters des Klägers von den Gerichten angenommen wurde, hatte vorliegend der Vater des Klägers nach den Feststellungen im Strafurteil seinem körperlich unterlegenen Vater – den Erblasser – zunächst mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen, wobei er vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft handelte. Als sein Vater zu Boden fiel, trat er mit den beschuhten Füßen auf ihn ein. Durch die Schläge und Tritte erlitt der Vater zahlreiche Prellungen im Gesicht und am Körper. Ein solch brutales Verhalten gegenüber einem Elternteil erfüllt nicht nur das von der Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis einer groben Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses, sondern lässt eine Einschränkung der Testierfreiheit des Erblassers durch das Pflichtteilsrecht des sich so verhaltenden Sohnes auch unter Abwägung der zu beachtenden Grundrechtspositionen als unzumutbar erscheinen und ist somit auch im Lichte der abzuwägenden Grundrechte als schwer iSv § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB anzusehen.“

Mit Entziehung des Pflichtteils wurde der Enkel pflichtteilsberechtigt. Das LG Hagen gab seiner Zahlungsklage statt.

Ohne Erfolg beriefen sich die Erben darauf, der Enkel sei in Wahrheit gar nicht Kind seines Vaters und damit nicht Enkel des Erblassers. Denn der Enkel konnte seine Geburtsurkunde vorlegen. Und deren Inhalt war für das Gericht maßgeblich (§ 54 Abs. 2 PStG):

„Der Kläger selbst ist der Sohn des Herrn L2, wobei es insoweit lediglich auf die rechtliche Abstammung ankommt. Dabei richtet sich die Vaterschaft gemäß Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB vorliegend, da der Kläger vor dem 01.07.1998 geboren wurde, nach den vor Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16.12.1997 geltenden Vorschriften, sowie im Übrigen nach dem seither geltenden Recht. Danach war zwischen ehelicher Abstammung (§§ 1591 ff. BGB aF) und nichtehelicher Abstammung (§§ 1600a ff. BGB) zu unterscheiden. Bei nichtehelichen Kindern wurde die Vaterschaft durch Anerkennung oder gerichtliche Entscheidung festgestellt (§ 1600a S. 1 BGB aF).

Vorliegend steht die rechtliche Abstammung des Klägers von Herrn L2 aufgrund der vorgelegten – am 15.09.2011 unter Geltung der seit dem 01.01.2009 maßgeblichen Fassung des PStG erteilten – Geburtsurkunde des Klägers, die Herrn L2 als Vater ausweist, gem. § 54 Abs. 2 PStG fest, wie die Kammer bereits im Auskunftsurteil ausgeführt hat. An der Beweiskraft nehmen die über die Geburt gemachten näheren Angaben sowie die sonstigen Angaben über den Personenstand der Personen, auf die sich der Eintrag bezieht, teil, zu denen gem. § 59 Abs. 1 Nr. 4 PStG auch die Angaben zu den Eltern des Kindes gehören. Dabei beziehen sich Urkunde und Beweiskraft auf die rechtliche Abstammung, die auch für die nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PStG (vormals: § 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG aF) vorzunehmende Eintragung der Eltern in das Geburtenregister (vormals: Geburtenbuch), aus dem nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 PStG (vormals: § 61a Nr. 3 PStG aF) die Geburtsurkunde erstellt wird, maßgeblich ist (anschaulich: BGH, Beschl. v. 20.04.2016 – XII ZB 15/15, juris Rn. 14 ff.: Eintragung gleichgeschlechtlicher Partner als Eltern eines in Südafrika geborenen Kindes).

Soweit die Beklagten der Ansicht sind, die Geburtsurkunde genüge nicht zum Nachweis der Abstammung, sondern hierfür sei eine Abstammungsurkunde erforderlich, so trifft dies nicht zu. Bereits nach dem Personenstandsgesetz in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung erbrachten Geburtsurkunde und Geburtenbuch gem. §§ 66, 60 Abs. 1 S. 1, 61a Nr. 3, 62 Abs. 1, 1. Var., Nr. 3 PStG aF den Beweis für die rechtliche Abstammung (BayObLG, Beschl. v. 29.10.1999 – 1Z BR 79/99, juris Rn. 14: Zur Erstreckung der Beweiswirkung auf die anerkannte Vaterschaft), wobei die Beweiskraft der vormaligen Personenstandsbücher nach § 76 Abs. 1 PStG fortgilt. Die durch das Nichtehelichengesetz vom 19.08.1969 eingeführte Abstammungsurkunde (§ 61a Abs. 1 Nr. 3 PStG aF) wurde durch das Personenstandsreformgesetz vom 19.02.2007 abgeschafft. Sie war vormals für die Eheschließung vorzulegen (§ 5 Abs. 1 PStG aF) und sollte mit ihrem bei adoptierten Kindern erweiterten Inhalt dazu dienen, bei der Prüfung der Ehefähigkeit der Verlobten ein etwaiges Eheverbot der Verwandtschaft festzustellen (BT-Drs. 16/1831 S. 36: Begründung für die Abschaffung). Wie ausgeführt, kommt es im Rahmen des Erb- und Pflichtteilsrechts allerdings lediglich auf die rechtliche Abstammung an.

Die Beklagten haben auch nicht den ihnen nach § 54 Abs. 3 PStG offenstehenden Nachweis der Unrichtigkeit der durch die Geburtsurkunde beurkundeten Tatsache der rechtlichen Vaterschaft erbracht oder hierzu zu erhebenden Beweis angeboten, wie bereits im Rahmen des Auskunftsurteils ausgeführt wurde. Ihre Behauptung, der Kläger stamme nicht genetisch von L2 ab, ist für den Nachweis der Unrichtigkeit der durch die Geburtsurkunde ausgewiesenen rechtlichen Abstammung bereits unerheblich. Denn selbst wenn der Kläger nicht genetisch von seinem in der Geburtsurkunde ausgewiesenen rechtlichen Vater abstammen sollte, weist dies nicht die Unrichtigkeit des Eintrags in der Geburtsurkunde nach, da die genetische Abstammung nicht Voraussetzung für die rechtliche Vaterschaft ist. Dem diesbezüglichen Beweisantritt, ein DNA-Gutachten einzuholen, ist schon deshalb nicht nachzugehen.“

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