Streichungen im Testament: Sind sie wirksam?

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 27. September 2024 von Tobias Goldkamp

Die Frage der Wirksamkeit von Streichungen in einem Testament stellt sich in der erbrechtlichen Praxis häufig. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat in einem Beschluss vom 13. Oktober 2023 (Az. 33 Wx 73/23) wichtige Grundsätze aufgestellt, wie solche Streichungen zu bewerten sind. Diese Entscheidung beleuchtet insbesondere die rechtlichen Voraussetzungen und die Beweisanforderungen, die erfüllt sein müssen, damit Streichungen als Ausdruck des Widerrufswillens des Erblassers gelten können.

1. Hintergrund der Entscheidung

Im vorliegenden Fall hatte die Erblasserin ein handschriftliches Testament errichtet, in dem sie ihren Lebensgefährten als Alleinerben einsetzte und ihre Brüder enterbte. Nach dem Tod der Erblasserin wurde das Testament aufgefunden, jedoch war der gesamte Text des Testaments großflächig durchgestrichen. Die Brüder der Erblasserin legten gegen die Erteilung eines Erbscheins für den Lebensgefährten Beschwerde ein. Das Nachlassgericht holte ein Sachverständigengutachten ein, das jedoch nicht aufklären konnte, ob die Durchstreichungen vor oder nach dem Tod der Erblasserin vorgenommen worden waren.

2. Kernaussagen des Gerichts

a) Vermutung des Widerrufswillens

Das OLG München stellte klar, dass großflächige Durchstreichungen in einem Testament grundsätzlich als Ausdruck des Widerrufswillens des Erblassers zu verstehen sind, sofern sich das Testament bis zum Tod des Erblassers in dessen Gewahrsam befand und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Dritte die Durchstreichungen vorgenommen haben. Diese Indizwirkung greift, wenn die Testamentsurkunde in der alleinigen Obhut des Erblassers war und Dritte keinen ungehinderten Zugriff darauf hatten.

b) Beweisanforderungen und Feststellungslast

Die Feststellungslast für die Wirksamkeit eines Testaments liegt bei demjenigen, der sich auf dessen Inhalt beruft. Steht die wirksame Errichtung fest, trägt derjenige, der sich auf einen Widerruf beruft, die Beweislast für die Widerrufshandlung. Das OLG München führte aus, dass die Anforderungen an den Beweis, dass der Erblasser die Durchstreichungen selbst vorgenommen hat, nicht allzu hoch anzusetzen sind, wenn das Testament in seinem alleinigen Gewahrsam war.

3. Auswirkungen für die Praxis

a) Widerrufsvermutung nach § 2255 BGB

Nach § 2255 BGB wird vermutet, dass der Erblasser den Widerrufswillen hatte, sofern feststeht, dass er die Streichungen nach der Errichtung des Testaments vorgenommen hat. Diese Vermutung greift nur ein, wenn feststeht, dass die Streichungen durch den Erblasser erfolgt sind und nicht durch einen Dritten. Allerdings geht die Rechtsprechung wie vom OLG München ausgeführt davon aus, dass an den Beweis des Erblasserhandelns nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen sind, wenn sich die Urkunde bis zuletzt in seinem Gewahrsam befand und keine Anhaltspunkte für ein Eingreifen Dritter vorliegen.

b) Empfohlene Vorgehensweise für Erblasser

Erblassern, die ihr Testament widerrufen möchten, empfehlen wir, diesen Widerruf ausdrücklich durch ein neues, formgerechtes Testament zu dokumentieren, um spätere Beweisprobleme zu vermeiden. Eine Möglichkeit ist das sogenannte Widerrufstestament, in dem der Erblasser seine frühere Verfügung klar und unmissverständlich aufhebt. Hingegen führen Streichungen oder eine Vernichtung der Urkunde immer wieder zu Streit und Unsicherheiten.

c) Sicherung des Testaments

Es ist ratsam, jedes Testament in die amtliche Verwahrung zu geben. Dies schützt das Dokument vor Manipulationen und stellt sicher, dass es im Erbfall ordnungsgemäß eröffnet wird. Die Kosten für eine solche Hinterlegung sind mit rund 100 Euro vergleichsweise gering und bieten eine hohe Sicherheit für die Erblasser und ihre Erben.

Für Profis

Weitere rechtliche Details und Empfehlungen zu der Entscheidung sind in meiner Besprechung bei juris nachzulesen, jurisPR-FamR 4/2024 Anm. 4.

Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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