Wie Gerichte die Echtheit eines Testaments prüfen – praktische Gewissheit statt naturwissenschaftlicher Sicherheit

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 3. November 2025 von Tobias Goldkamp

Ob ein Testament tatsächlich vom Erblasser stammt, ist eine der häufigsten Streitfragen im Erbrecht. Zwei aktuelle Entscheidungen – des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 24.02.2025, Az. I-3 W 21/25) und des Oberlandesgerichts Brandenburg (Beschluss vom 05.05.2025, Az. 3 W 80/24) – zeigen, wie Gerichte bei der Beweiswürdigung vorgehen: Maßgeblich ist der sogenannte Vollbeweis, also die persönliche Überzeugung des Richters von einer praktischen Gewissheit, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen.

Close-up of hand writing in notebook using a blue pen, focus on creativity.
Photo by picjumbo.com on Pexels

1. Der Fall vor dem OLG Düsseldorf

Im Verfahren vor dem OLG Düsseldorf stritten die Tochter des Erblassers und dessen frühere Lebensgefährtin um die Echtheit eines handschriftlichen Testaments, in dem die Lebensgefährtin als Erbin eingesetzt war. Ein Schriftsachverständiger hatte bestätigt, dass die Unterschrift und ein Namenszug im Text vom Erblasser stammten, konnte die Urheberschaft des übrigen Textes aber nicht sicher beurteilen. Das Nachlassgericht sah die Form des Testaments deshalb als nicht bewiesen an und wies den Erbscheinsantrag der Lebensgefährtin zurück. Das OLG Düsseldorf hob diese Entscheidung auf: Auch wenn das Gutachten keinen abschließenden Nachweis erbracht habe, führe die Gesamtschau aller Umstände – homogenes Schriftbild, fehlende Manipulationsspuren, schlüssiger Inhalt und kein Motiv für eine Fälschung – zur Überzeugung, dass das Testament vollständig vom Erblasser stamme. Damit wurde die Lebensgefährtin als Alleinerbin anerkannt.

2. Der Fall vor dem OLG Brandenburg

Auch vor dem OLG Brandenburg ging es um die Echtheit eines handschriftlichen Testaments. Im Testament waren die Lebensgefährtin des Erblassers und deren Sohn zu Erben eingesetzt. Die Brüder des Erblassers zweifelten jedoch die Urheberschaft an. Der gerichtlich bestellte Sachverständige sprach in seinem Gutachten von einer „sehr hohen Wahrscheinlichkeit“, dass das Testament vom Erblasser stamme. Das Gericht bestätigte, dass eine naturwissenschaftlich absolute Sicherheit kaum zu erreichen sei, und sah den Beweis als geführt an: Es genüge ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausschließt. Das Testament wurde als echt anerkannt, ein weiteres Gutachten lehnte das Gericht ab, da keine Anhaltspunkte für Mängel oder Zweifel an der Sachkunde bestanden.

3. Das Beweismaß: praktische Gewissheit genügt

Beide Entscheidungen betonen, dass der Richter keine absolute, sondern eine praktische Gewissheit benötigt. Das OLG Düsseldorf formulierte: „Zum Nachweis ist zwar die volle richterliche Überzeugung erforderlich. Diese verlangt aber keine absolute Gewissheit. Für sie reicht vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet.“ Das OLG Brandenburg stellte klar: Eine solche Gewissheit liegt vor, wenn das Gericht keine „vernünftigen Zweifel“ an der Echtheit hat, selbst wenn der Sachverständige nur von einer hohen Wahrscheinlichkeit ausgeht.

4. Die umfassende Beweiswürdigung

Nach § 37 Abs. 1 FamFG muss sich die richterliche Überzeugung aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens ergeben. Das Gericht darf sich also nicht allein auf ein Gutachten beschränken, sondern muss sämtliche Erkenntnisse würdigen – etwa Urkunden, Zeugenaussagen, das Verhalten der Beteiligten und die Plausibilität des Vorbringens. Das OLG Düsseldorf rügte ausdrücklich, dass das Amtsgericht diese Pflicht verletzt hatte, indem es allein auf das Gutachten abstellte. Erst die Gesamtbewertung aller Indizien – vom Schreibmaterial über den Textinhalt bis zur Lebenssituation des Erblassers – führte zu einer tragfähigen Entscheidung.

5. Fazit für die Praxis

  • Praktische Gewissheit statt Vollsicherheit: Absolute Beweise sind selten. Es genügt, wenn das Gericht vernünftige Zweifel ausschließen kann.
  • Gesamtschau aller Umstände: Schriftgutachten, äußere Merkmale und Lebensumstände müssen zusammen betrachtet werden.
  • Kein Automatismus zu weiteren Gutachten: Besteht bereits ein schlüssiges Gutachten, darf das Gericht auf dieser Basis entscheiden.

So unterstützen wir Sie

  • Beweissicherung: Wir sorgen dafür, dass Zeugen vernommen und Urkunden begutachtet werden.
  • Argumentation im Verfahren: Wir bereiten Schriftsätze so vor, dass das Gericht den gesamten Verfahrensstoff in die Entscheidung einbezieht.
  • Rechtsmittel: Wir prüfen Urteile und Beschlüsse auf Beweisfehler und legen bei Bedarf Rechtsmittel ein.

Ihr nächster Schritt

Zweifel an der Echtheit eines Testaments oder an der Beweiswürdigung des Gerichts? Sprechen Sie uns an. Wir sorgen dafür, dass alle Beweismittel Gehör finden und das Gericht zu einer fundierten, nachvollziehbaren Überzeugung gelangt.

Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

Themen

Nach oben scrollen