Die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs sowie des Pflichtteilsergänzungsanspruchs stellt einen zentralen Aspekt im deutschen Erbrecht dar. Diese Ansprüche sichern den zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehörenden Personen eine Mindestbeteiligung am Nachlass. In diesem Beitrag werden einige Regelungen angesprochen, nach denen die Ansprüche zu berechnen sind:
1. Pflichteilsquote (§§ 2303 Abs. 1 Satz 2, 2310 BGB)
Der Pflichtteil gewährt bestimmten nahen Angehörigen des Erblassers – Kindern, Eltern und dem Ehegatten – eine Abfindung in Geld dafür, dass sie nicht Erben geworden sind oder mit einer zu niedrigen Erbquote bedacht sind. Die Höhe des Geldbetrags richtet sich nach der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Wie wird die Pflichtteilsquote berechnet?
Die Pflichtteilsquote richtet sich nach der gesetzlichen Erbfolge, die hypothetisch zugrunde gelegt wird, als wäre kein Testament und kein Erbvertrag vorhanden. Angenommen, der Erblasser hinterlässt einen Ehegatten und zwei Kinder, würde der gesetzliche Erbteil des Ehegatten 1/2 und der Kinder jeweils 1/4 betragen. Die Pflichtteilsquote für jedes Kind läge somit bei 1/8.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ergibt sich aus § 2310 BGB: Wer durch notariellen Vertrag auf sein Erbe verzichtet hat (Erbverzicht), wird bei der Ermittlung der Pflichtteilsquote nicht mitgezählt. Hätte in dem Beispiel eines der beiden Kinder auf das Erbe verzichtet, ergäbe sich für das andere Kind eine gesetzliche Erbquote von 1/2 und somit eine Pflichtteilsquote von 1/4.
Im Gegensatz dazu werden Personen weiter mitgezählt, die auf den Pflichtteil verzichtet haben, enterbt sind, ausgeschlagen haben oder für erbunwürdig erklärt sind.
2. Wert des Nachlasses (§§ 2311, 2312, 2313 BGB)
Die Pflichtteilsansprüche werden auf Basis des Nachlasswertes berechnet. Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Aktivvermögen (wie Immobilien, Bankguthaben, Wertpapiere) und den Passiva (wie Schulden, Beerdigungskosten) des Erblassers.
Wie wird der Nachlasswert ermittelt?
- § 2311 BGB regelt, dass der Bestand und die Werte zum Stichtag Todestag maßgeblich sind.
- § 2312 BGB sieht vor, dass bei einem Landgut der Ertragswert maßgeblich sein kann.
- § 2313 BGB regelt, wie bedingte, ungewisse oder unsichere Rechte anzusetzen sind.
- § 2314 BGB gibt dem Pflichtteilsberechtigten Hilfsansprüche gegen den Erben. Der Pflichtteilsberechtigte kann vom Erben verlangen, dass der ihm ein Nachlassverzeichnis vorlegt, Auskunft über die lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers erteilt und Sachverständigengutachten zu den Werten von Nachlassgegenständen vorlegt.
3. Anrechnung von Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten mit Anrechnungsbestimmung (§§ 2315, 2051 BGB)
Wenn der Erblasser zu Lebzeiten Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten gemacht hat, können diese unter bestimmten Voraussetzungen auf den Pflichtteilsanspruch angerechnet werden.
Wann erfolgt eine Anrechnung?
§ 2315 BGB bestimmt, dass eine Anrechnung nur dann erfolgt, wenn der Erblasser dies ausdrücklich angeordnet hat. Der Erblasser muss die entsprechende Erklärung vor der Zuwendung oder spätestens bei der Zuwendung abgegeben haben. Eine nachträgliche Erklärung, z.B. in einem Testament, genügt nicht.
4. Ausgleichung (§§ 2316, 2050, 2055 BGB)
Die Ausgleichung spielt eine wichtige Rolle bei der Berechnung des Pflichtteils, insbesondere wenn Abkömmlinge des Erblassers zu Lebzeiten unterschiedliche Vorzuwendungen erhalten haben.
Was versteht man unter Ausgleichung?
- § 2316 BGB regelt, dass der Pflichtteil eines Abkömmlings nach dem Wert berechnet wird, der ihm als gesetzlicher Erbe unter Berücksichtigung der Ausgleichung zustehen würde.
- § 2050 BGB spezifiziert, dass insbesondere Ausstattungen (z.B. zur Gründung eines Unternehmens) und übermäßige Zuschüsse ausgleichungspflichtig sind. Zudem sind Zuwendungen ausgleichungspflichtig, bei denen der Erblasser dies angeordnet hat.
- § 2055 BGB legt fest, wie die Ausgleichungsberechnung durchzuführen ist.
5. Pflichtteilsergänzung (§ 2325 BGB)
Um Pflichtteilsberechtigte vor einer Schmälerung ihres Anspruchs durch Schenkungen des Erblassers zu schützen, sieht das Gesetz den Pflichtteilsergänzungsanspruch vor.
Wann entsteht ein Pflichtteilsergänzungsanspruch?
- § 2325 BGB ermöglicht es Pflichtteilsberechtigten, Schenkungen des Erblassers, die innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod vorgenommen wurden, dem Nachlasswert hinzuzurechnen. Der so erweiterte Nachlasswert bildet die Grundlage für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs.
- Wichtig ist hierbei die abgestufte Anrechnung: Für jedes Jahr, das zwischen der Schenkung und dem Tod des Erblassers liegt, wird der anzurechnende Wert um 10% reduziert (Abschmelzung). Diese Regelung verhindert, dass Schenkungen, die kurz vor dem Tod erfolgten, den Pflichtteilsanspruch erheblich mindern.
- Bei Schenkungen an den Ehegatten läuft die Zehnjahresfrist nicht an und damit nicht ab, solange die Ehe besteht. Gleiches gilt bei Schenkungen unter Vorbehalten, z.B. Nießbrauch: Die Zehnjahresfrist und damit die Abschmelzung beginnen erst, wenn der Vorbehalt erlischt. Dies führt dazu, dass Schenkungen an den Ehegatten und Schenkungen unter Vorbehalt auch dann den Pflichtteilsergänzungsanspruch begründen oder erhöhen können, wenn sie länger als zehn Jahre zurückliegen.
- Bei nicht verbrauchbaren Sachen, z.B. Immobilien, werden die Werte bei der Schenkung und beim Erbfall verglichen. Der niedrigere Wert von beiden zählt für die Pflichtteilsberechnung (sogenanntes Niederstwertprinzip).
6. Anrechnung erhaltener Schenkungen (§ 2327 BGB)
Hat der Pflichtteilsberechtigte selbst Schenkungen vom Erblasser erhalten, so werden diese auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch angerechnet. Dies gilt unabhängig davon, wann die Schenkung erfolgt ist. Anders als bei der Anrechnung auf den Pflichtteilsanspruch ist auch keine Anrechnungsbestimmung des Erblassers erforderlich.
7. Begrenzung der Pflichtteilsergänzung (§§ 2328, 2329, 1975, 1990, 2060 BGB)
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch kann in bestimmten Fällen begrenzt werden.
Wie wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch begrenzt?
- § 2328 BGB sieht vor, dass der Erbe die Pflichtteilsergänzung nur soweit zahlen muss, wie ihm sein eigener Pflichtteil einschließlich Pflichtteilsergänzung verbleibt.
- § 2329 BGB regelt, dass der Pflichtteilsberechtigte von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen kann, soweit der Nachlass nicht ausreicht, um den Pflichtteil vollständig zu befriedigen.
- §§ 1975, 1990, 2060 BGB ergänzen diese Regelungen durch besondere Haftungsbestimmungen für Erben, die greifen, falls der Nachlass nicht ausreicht, um alle Verbindlichkeiten zu decken.
8. Anrechnung Erbteil ohne Beschränkungen und Beschwerungen (§ 2305 BGB)
Erhält ein Pflichtteilsberechtigter einen Erbteil, der geringer ist als sein Pflichtteil, so steht ihm ein Zusatzpflichtteil zu.
Was bedeutet der Zusatzpflichtteil?
- § 2305 BGB regelt, dass der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf den fehlenden Betrag hat, wenn sein Erbteil den Pflichtteil nicht erreicht. Der Zusatzpflichtteil ist der Betrag, der erforderlich ist, um den Pflichtteilsanspruch vollständig zu erfüllen.
- Dieser Anspruch entsteht, wenn der Pflichtteilsberechtigte durch Testament oder Erbvertrag bedacht wurde, aber nur mit einem geringeren Anteil als seinem gesetzlichen Pflichtteil.
- Achtung: Sinkt der Wert des Erbteils wegen Beschwerungen (z.B. Vermächtnis) unter den Pflichtteil, muss der Erbe ausschlagen, um den Pflichtteil verlangen zu können (§ 2306 BGB).
9. Anrechnung der Werte nicht ausgeschlagener Vermächtnisse (§ 2307 Abs. 1 BGB)
Wenn ein Pflichtteilsberechtigter ein Vermächtnis annimmt, wird der Wert des Vermächtnisses auf seinen Pflichtteil angerechnet.
Wie erfolgt die Anrechnung eines Vermächtnisses?
- § 2307 Abs. 1 BGB bestimmt, dass der Pflichtteilsberechtigte sich den Wert des Vermächtnisses auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen muss, wenn er das Vermächtnis annimmt. Dies gilt jedoch nicht, wenn er das Vermächtnis ausschlägt.
- Lehnt der Pflichtteilsberechtigte das Vermächtnis ab, so steht ihm sein voller Pflichtteil ohne Anrechnung des Vermächtnisses zu.
10. Pflichtteilslast bei Vermächtnissen und Auflagen (§ 2318 BGB)
Die Pflichtteilsansprüche sind unabhängig von Belastungen des Nachlasses zu erfüllen.
Was bedeutet dies für den Erben?
- § 2318 BGB regelt, dass der Erbe den Pflichtteil auch dann auszahlen muss, wenn der Nachlass durch Vermächtnisse oder Auflagen belastet ist. Die Erfüllung der Pflichtteilsansprüche hat Vorrang vor der Erfüllung von Vermächtnissen und Auflagen.
- Der Erbe kann Vermächtnisse und Auflagen anteilig kürzen, so dass die Pflichtteilslast vom Erben und vom Vermächtnisnehmer bzw. Auflagenbegünstigten verhältnismäßig getragen wird.
11. Pflichtteilsberechtigter Miterbe (§ 2319 BGB)
Wenn ein Pflichtteilsberechtigter zugleich Miterbe ist und nach der Teilung des Nachlasses mit einem Pflichtteilsanspruch einer anderen Person konfrontiert wird, kann er die Zahlung soweit kürzen, dass ihm sein eigener Pflichtteil verbleibt. Im Umfang der Kürzung müssen die anderen Miterben zahlen.
12. Pflichtteilslast des an die Stelle des Pflichtteilsberechtigten getretenen Erben (§ 2320 BGB)
Wenn ein Pflichtteilsberechtigter seinen Anspruch nicht geltend macht, tritt ein anderer Erbe in seine Position.
§ 2320 BGB bestimmt, dass der Erbe, der an die Stelle des Pflichtteilsberechtigten tritt, dessen Pflichtteil allein zu zahlen hat. Dies bedeutet, dass der Anspruch dieses Pflichtteilsberechtigten allein zulasten des an seine Stelle getretenen Erben geht, nicht zulasten der Erbengemeinschaft bzw. der anderen Miterben.
13. Pflichtteilslast bei Vermächtnisausschlagung (§ 2321 BGB)
Steht einem Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis zu und schlägt er dieses aus, so hat im Verhältnis der Erben und anderer Vermächtnisnehmer derjenige, dem dies zugute kommt, den Pflichtteil in der Höhe des durch die Ausschlagung erlangten Vorteils zu tragen.
Diese Ausführungen sollen Ihnen einen Überblick über einige Regelungen für die Berechnung des Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs geben. Sie verdeutlichen, wie wichtig es ist, alle relevanten Aspekte zu berücksichtigen, um den Anspruch korrekt zu berechnen und geltend zu machen.
Wenn Sie Fragen dazu haben, steht Ihnen unsere Kanzlei mit umfassender Expertise zur Seite. Wir unterstützen sowohl Pflichtteilsberechtigte als auch Erben dabei, den Pflichtteil und die Pflichtteilsergänzung richtig zu berechnen.