Die Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen aus Testamenten oder Erbverträgen bietet betroffenen Personen die Möglichkeit, gegen den letzten Willen des Erblassers vorzugehen, wenn er aufgrund eines Irrtums, einer unzulässigen Beeinflussung oder durch das Übergehen von Pflichtteilsberechtigten entstanden ist. Auch der Erblasser selbst kann seine Verfügungen von Todes wegen anfechten, sofern es sich um bindende Verfügungen aus einem Erbvertrag oder einem gemeinschaftlichen Testament handelt.
1. Anfechtungsgründe nach § 2078 BGB und § 2079 BGB
Im Erbrecht sind die Anfechtungsgründe in den §§ 2078 und 2079 BGB geregelt. Folgende Gründe können zur Anfechtung einer Verfügung führen:
a) Inhaltsirrtum (§ 2078 Abs. 1 BGB)
Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erblasser bei der Errichtung der Verfügung den Inhalt seiner Erklärung nicht richtig verstanden hat. Der Erblasser hat etwas erklärt, dessen tatsächliche rechtliche Konsequenzen er jedoch missverstanden hat. Ein Beispiel wäre, wenn der Erblasser dachte, eine bestimmte Person würde automatisch erben, obwohl das Testament dies nicht vorsieht.
b) Erklärungsirrtum (§ 2078 Abs. 1 BGB)
Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn der Erblasser eine andere Erklärung abgegeben hat, als er eigentlich wollte. Dies könnte der Fall sein, wenn er sich verschrieben hat oder eine Person versehentlich falsch benannt wurde.
c) Motivirrtum (§ 2078 Abs. 2 BGB)
Neben den allgemeinen Anfechtungsgründen (§§ 119 und 123 BGB) akzeptiert das Erbrecht auch sogenannte Motivirrtümer. Ein Motivirrtum tritt auf, wenn der Erblasser von falschen Annahmen oder Erwartungen ausgeht, die seine Entscheidung beeinflusst haben.
Beispiele
- Ohne Erfolg blieb die Anfechtung im Fall eines Beschlusses des OLG Oldenburg vom 26.09.2022, Aktenzeichen 3 W 55/22. Hier setzte der Erblasser seinen nichtehelichen Lebensgefährten zum Erben ein. Nachdem der Erblasser mit Demenz ins Pflegeheim kam, heiratete der Lebensgefährte eine andere Person, besuchte den Erblasser aber weiter regelmäßig im Pflegeheim. Nach dem Tod des Erblassers focht dessen Tochter die Erbeinsetzung an: Ihr Vater sei einem Motivirrtum unterlegen, denn wenn er gewusst hätte, dass sein Lebensgefährte einen anderen heiratet, hätte er ihn nicht zum Erben eingesetzt. Beim OLG Oldenburg blieb die Anfechtung ohne Erfolg, denn das Gericht war nicht überzeugt, dass der Erblasser tatsächlich von der Erbeinsetzung abgesehen hätte, zumal der Lebensgefährte ihn weiter besucht hatte (siehe meine Urteilsbesprechung, nur mit juris-Zugang).
- Erfolgreich war hingegen die Anfechtung im Fall eines Urteils des LG Wuppertal vom 05.12.2022, Aktenzeichen 2 O 317/21. Hier setzte die Erblasserin ihren Sohn als Alleinerben ein, weil sie davon ausging, dass er den Familienbesitz, insbesondere eine Immobilie, behalten würde. Als der Sohn die Immobilie jedoch verkaufte, focht die Tochter die Verfügung wegen eines Motivirrtums an, da die Erblasserin in ihrem Testament klar formuliert hatte, dass die Erhaltung des Hauses im Familienbesitz ihr Hauptmotiv war. Das Gericht stellte fest, dass die Erblasserin die Erbeinsetzung des Sohnes unter der irrigen Annahme getroffen hatte, er werde das Haus behalten, und gab der Anfechtung statt. Folge war, dass es zur gesetzlichen Erbfolge kam und Sohn und Tochter zu gleichen Teilen als Erbengemeinschaft die Mutter beerbten (siehe meine Urteilsbesprechung, nur mit juris-Zugang).
d) Drohung (§ 2078 Abs. 2 BGB)
Wenn der Erblasser durch Drohung zur Abfassung einer Verfügung von Todes wegen veranlasst wurde, ist diese ebenfalls anfechtbar. Die Drohung muss rechtswidrig sein und ursächlich für die Verfügung.
e) Übergehung von Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB)
Ein Pflichtteilsberechtigter, der im Testament nicht bedacht wurde, kann die Verfügung anfechten, wenn der Erblasser seine Pflichtteilsansprüche nicht erkannt hat oder sich über deren Existenz geirrt hat.
2. Selbstanfechtung durch den Erblasser (§ 2281 BGB)
Der Erblasser selbst kann bindende Verfügungen von Todes wegen anfechten, z.B. wenn er einen Irrtum erkannt hat oder einen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, der seitdem hinzugekommen ist. Letzteres kann der Fall sein, wenn der Erblasser erneut heiratet. Der neue Ehegatte ist ein neuer Pflichtteilsberechtigter. Ist er in den bisherigen Verfügungen unberücksichtigt, kann dies eine Anfechtung rechtfertigen.
Eigentlich kann der Erblasser seine Verfügungen dadurch widerrufen, dass er ein Widerrufstestament oder ein Testament mit abweichenden Verfügungen errichtet. Relevant ist die Selbstanfechtung deshalb nur bei bindenden Verfügungen, d.h. vertragsmäßigen Verfügungen aus Erbverträgen oder wechselbezüglichen Verfügungen aus gemeinschaftlichen Testamenten.
3. Anfechtungsberechtigung und Fristen
Zur Anfechtung berechtigt sind diejenigen Personen, die durch die Anfechtung erbrechtlich profitieren. Die Frist für die Anfechtung beträgt ein Jahr ab Kenntnis des Anfechtungsgrunds (§ 2082 BGB). Die maximale Frist zur Anfechtung beträgt 30 Jahre ab Erbfall.
4. Folgen der Anfechtung
Wird eine Verfügung von Todes wegen erfolgreich angefochten, gilt sie rückwirkend als nichtig (§ 142 BGB). Die betroffene Verfügung wird dann so behandelt, als hätte sie nie bestanden. Dabei betrifft die Nichtigkeit nur den angefochtenen Teil der Verfügung, während die übrigen Teile weiterhin Bestand haben.
Fazit
Die Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen ist ein wichtiges Instrument im Erbrecht, um Fehlentscheidungen des Erblassers zu korrigieren oder unberechtigte Benachteiligungen zu beheben. Die Entscheidung des LG Wuppertal zeigt, dass Motivirrtümer als Anfechtungsgrund besonders relevant sind, wenn der Erblasser klare Erwartungen an das Verhalten der Erben formuliert hat. Gleichzeitig macht das Urteil des OLG Oldenburg deutlich, dass die besondere Situation des Erblassers bei der Errichtung der Verfügung berücksichtigt werden muss. Unsere Kanzlei unterstützt Sie bei der Prüfung und Durchsetzung Ihrer Rechte im Erbfall.