Wie wirken sich Pflegeleistungen auf den Pflichtteil aus?

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 1. August 2016 von Tobias Goldkamp

Pflegt der Pflichtteilsberechtigte den Erblasser, kann dies den Pflichtteilsanspruch erhöhen. Pflegt der Erbe den Erblasser, kann dies den Pflichtteilsanspruch reduzieren.

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Wann sind Pflegeleistungen auszugleichen?

Pflegeleistungen sind nach § 2057a BGB auszugleichen, wenn der Erblasser längere Zeit vom Pflichtteilsberechtigten oder Erben gepflegt wurde.

Die Ausgleichung findet nur unter Abkömmlingen statt (Kinder, Enkel, Urenkel usw. des Erblassers). Auf den Pflichtteil wirkt sich eine Pflegeleistung nur aus, wenn der Pflichtteilsberechtigte ein Abkömmling des Erblassers ist und mehrere Abkömmlinge vorhanden sind.

Als Pflege auszugleichen ist nicht jede kleinere oder vorübergehende Hilfe, wie sie zwischen engen Verwandten üblich ist, z.B. gelegentliche Besuche, Einkäufe oder Fahrten zum Arzt. Ausgleichungspflichtig sind nur Leistungen, die ein besonderes Maß erreichen. Hierbei kommt es darauf an, dass die Leistungen erheblich und von gewisser Dauer sind, z.B., wenn ein Abkömmling den Erblasser über Monate oder Jahre täglich mehrere Stunden pflegt. Einzelheiten oder konkrete Schwellenwerte regelt das Gesetz nicht – es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an.

Früher war erforderlich, dass der Abkömmling durch die Pflege auf eigenes berufliches Einkommen verzichtet hat. Diese Voraussetzung ist seit dem 01.01.2010 aus dem Gesetz gestrichen.

Der Abkömmling muss die Pflege nicht allein durchgeführt haben, sondern kann sich zur Unterstützung auch von ihm bezahlter Hilfskräfte bedient haben. Auch wenn der Erblasser selbst noch Pflegekräfte beschäftigte oder einen Pflegedienst in Anspruch nahm, schließt dies die Ausgleichung nicht aus, solange der vom Abkömmling erbrachte Anteil der Pflegeleistungen in Dauer und Umfang erheblich ist.

Wie sind Pflegeleistungen zu bewerten?

Die Pflegeleistungen sind zu bewerten in einer Gesamtschau der vom Gesetz vorgegebenen Faktoren, bei der zu berücksichtigen sind:

  • Umfang und Dauer der Leistungen,
  • erforderliche Aufwendungen,
  • Wert des Nachlasses, d.h. die nach Abzug aller Nachlassverbindlichkeiten zu verteilende Masse,
  • Umfang, in dem der Nachlass durch die Leistungen des Abkömmlings erhalten oder vermehrt wurde,
  • bei Verzicht auf eigenes Einkommen die Höhe des Einkommensverlustes.

Wie wird der Pflichtteil bei auszugleichenden Pflegeleistungen berechnet?

Sind Pflegeleistungen auszugleichen, geschieht dies in folgenden Rechenschritten:

  1. Der Wert der Pflegeleistung ist vom Nachlass abzuziehen.
  2. Aus dem so ermittelten Gesamtwert ist der nach gesetzlicher Erbquote auf den Pflichtteilsberechtigten entfallende Anteil zu errechnen.
  3. Nur sofern der Pflichtteilsberechtigte den Erblasser pflegte, wird der Wert der Pflegeleistung seinem Erbanteil hinzugerechnet.
  4. Die Hälfte des so ermittelten Betrags ist der Pflichtteil.

Beispiel:

Erblasser Heinz hinterlässt seine drei Töchter Ina, Lisa und Anna. Sein Nachlass ist 90.000 Euro wert. Er hat Ina durch Testament zur Alleinerbin eingesetzt. Sie pflegte ihn die letzten Jahre vor seinem Tod. Der Wert ihrer Pflegeleistungen wird auf 30.000 Euro geschätzt.

Lisa und Anna machen Pflichtteilsansprüche geltend. Nach dem obigen Schema ist zu rechnen:

  1. Die Berücksichtigung des Pflegewertes mindert den Nachlass rechnerisch auf 60.000 Euro.
  2. Die gesetzliche Erbquote von Lisa und Anna beträgt je 1/3. Ihr gesetzlicher Erbanteil wären je 20.000 Euro.
  3. Sie selbst pflegten den Erblasser nicht. Daher ist den 20.000 Euro nichts hinzuzurechnen.
  4. Pflichtteil ist die Hälfte des so ermittelten Betrages. Lisa und Anna erhalten von Ina je 10.000 Euro.

Variante: Nicht Ina, sondern Lisa pflegte Heinz.

  1. Die Berücksichtigung des Pflegewertes mindert den Nachlass rechnerisch auf 60.000 Euro.
  2. Die gesetzliche Erbquote von Lisa und Anna beträgt je 1/3. Ihr gesetzlicher Erbanteil wären je 20.000 Euro.
  3. Bei Lisa ist die von ihr erbrachte Pflegeleistung hinzuzurechnen, d.h. Erbanteil 20.000 Euro plus Pflegeleistung 30.000 Euro = 50.000 Euro. Bei Anna ist nichts hinzuzurechnen, da sie nicht pflegte.
  4. Pflichtteil ist jeweils die Hälfte der so ermittelten Beträge. Lisa erhält von Ina 25.000 Euro Pflichtteil. Anna erhält von Ina 10.000 Euro Pflichtteil.
Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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