Anspruch auf notarielles Nachlassverzeichnis bei (angeblich) überschuldetem Nachlass

Ist der Nachlass überschuldet, kann der Erbe kostenauslösende Maßnahmen verweigern. Doch mit einem Trick kommt der Pflichtteilsberechtigte trotzdem zu seinem Recht.

Dürftigkeitseinrede

Die Dürftigkeitseinrede (§ 1990 BGB) gibt dem Erben die Möglichkeit, die Leistung zu verweigern, wenn der Nachlass überschuldet ist und keine ausreichenden Mittel vorhanden sind, um ein Nachlassinsolvenzverfahren durchzuführen. Das Gesetz will den Erben davor schützen, mit seinem sonstigen Vermögen für Nachlassverbindlichkeiten zu haften.

Der Erbe kann sich mit der Dürftigkeitseinrede auch wehren gegen die Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten auf ein notarielles Nachlassverzeichnis und auf Wertermittlung durch Sachverständigengutachten.

Beweislast

Ist umstritten, ob der Nachlass keine ausreichenden Mittel aufweist, muss der Pflichtteilsberechtigte das Nachlassvermögen beweisen, aus dem er meint, dass die Kosten beglichen werden können. Der Erbe muss die Nachlassverbindlichkeiten beweisen, von denen er meint, dass diese das Vermögen schon aufbrauchen.

Urteil des OLG München vom 01.06.2017

Das OLG München bestätigte, dass der Erbe gegen den Anspruch auf notarielles Nachlassverzeichnis die Dürftigkeitseinrede erheben kann, verurteilte den Erben aber trotzdem (Az. 23 U 3956/16). Denn der Pflichtteilsberechtigte hatte im dortigen Fall angeboten, die Kosten von 600 Euro für die notarielle Nachlassermittlung und die Errichtung des Nachlassverzeichnisses durch den Notar selbst zu übernehmen:

„Der Kläger hat der Beklagten mehrfach ausdrücklich angeboten, die gesetzlich anfallenden Notarkosten zu übernehmen. Darüber hinaus hat der Kläger – zuletzt im Schriftsatz vom 03.04.2017 (S. 9, Bl. 92 d.A.) sogar angeboten, die gesetzlich anfallenden Gebühren im Voraus direkt an den Notar zu entrichten. Nachvollziehbare Gründe, weshalb die Beklagte sich dennoch unter Berufung auf die Dürftigkeit des Nachlasses einer notariellen Aufnahme verweigert, hat sie – auch im nachgelassenen Schriftsatz vom 17.05.2017 – nicht dargetan und sind auch nicht ersichtlich. Zwar verweist die Beklagte zurecht darauf, dass sie, wenn sie das Notariat beauftragt, Kostenschuldnerin bleibt. Das Risiko, selbst Gebühren an den Notar zahlen und anschließend gegen den Kläger klageweise geltend machen zu müssen, besteht damit grundsätzlich. Jedoch wird dieses Risiko deutlich verringert, da sich der Kläger bereit erklärt hat, die Kosten im Voraus direkt an das Notariat zu überweisen. Letztlich verbleibt damit nur die Gefahr, dass seitens des Notariats eine Nachforderung gegenüber dem Vorschuss erhoben wird. Dies wäre aber im wesentlichen dann zu befürchten, wenn sich bei Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses ergäbe, dass der Nachlass erheblich umfangreicher und werthaltiger wäre als von der Beklagten bislang angegeben. Da die Beklagte behauptet, den Nachlass bereits wahrheitsgemäß und vollständig angeführt zu haben und zu diesem auch keine Gegenstände gehören, über deren Wert erhebliche Unklarheit herrscht – wie etwa bei Grundstücken -, erscheint ausgehend vom eigenen Vortrag der Beklagten im hiesigen Verfahren das Risiko erheblicher Nachschussforderungen des Notars gering.

Die Argumentation der Beklagten, es lasse sich im vorhinein nicht beurteilen, welche Gebühren anfallen werden, erschließt sich nicht. Die Beklagte hat selbst ein Schreiben des Notars Joseph H. vom 21.12.2016 vorgelegt (nach Bl. 71 d.A.), in dem dieser genau ausführt, welche konkreten Gebühren für die Erstellung des notariellen Verzeichnisses anfallen. Zudem ist aus diesem Schreiben auch zu ersehen, dass die Gebühren keinen allzu hohen Umfang erreichen. Selbst ausgehend von einem – vom Kläger behaupteten und von der Beklagten bestrittenen – Geschäftswert von 75.000,00 Euro beliefen sich die Gebühren nur auf knapp 600,00 Euro.

Ob der vom Landgericht und zum Teil in der Literatur (vgl. Stenzel, ZJS 2014, S. 110 ff, 115, Kuhn/Trappe, ZEV 2011, S. 347 ff, 349; a.A. LG Amberg, Urteil vom 17.12.2015, 12 O 297/15, juris Tz. 92 ff.) vertretenen Ansicht, der Pflichtteilsberechtigte habe generell bei Dürftigkeit des Nachlasses einen Anspruch auf Erstellung eines Nachlassverzeichnisses auf seine Kosten, zu folgen ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben.“

Kostenübernahme anbieten

In Fällen, in denen der Pflichtteilsberechtigte einer Auskunft des Erben misstraut, der Nachlass sei überschuldet, kann es sinnvoll sein, dass der Pflichtteilsberechtigte ein notarielles Nachlassverzeichnis verlangt und hierfür Kostenübernahme anbietet.

Zwar bezeichnete das OLG München sein Urteil als „Einzelfallentscheidung“. Dennoch lassen sich die Argumente auch auf andere Fälle übertragen – und in vielen Fällen hat der Pflichtteilsberechtigte es in der Hand, durch eine Kostenübernahme die gleiche Konstellation herbei zu führen wie im Fall des OLG München.

Die Kosten – im Fall des OLG München 600 Euro – für das notarielle Nachlassverzeichnis können gut investiert sein: Der Notar kann in das Grundbuch und in Kontoauszüge schauen. Auf diese Weise können vom Erben verschwiegene Vermögenspositionen und Schenkungen aufgedeckt werden, aus denen sich schnell erhebliche Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche des Pflichtteilsberechtigten ergeben.

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