Pflichtteilsentziehung: Ist sie wirksam?

Tobias Goldkamp
Veröffentlicht am 2. November 2024 von Tobias Goldkamp

Die Pflichtteilsentziehung ist ein schwerwiegendes Instrument, das der Erblasser nur unter strengen rechtlichen Voraussetzungen einsetzen darf. Es handelt sich um eine Ausnahme zur verfassungsrechtlich geschützten Mindestbeteiligung naher Angehöriger am Nachlass. Die Gründe für die Entziehung des Pflichtteils sind im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) klar geregelt und unterliegen strengen Anforderungen.

1. Inhaltliche Voraussetzungen für die Pflichtteilsentziehung

Die Pflichtteilsentziehung ist gemäß § 2333 BGB nur in Ausnahmefällen möglich, wenn schwerwiegende Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten vorliegen. Die Gründe sind abschließend aufgezählt und nicht erweiterbar. Sie umfassen die folgenden Tatbestände:

  • Tötung oder versuchte Tötung (§ 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB): Wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser, seinem Ehegatten, einem Abkömmling oder einer ihm nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet.
  • Schwere Straftaten (§ 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB): Wenn der Pflichtteilsberechtigte sich eines Verbrechens oder schweren vorsätzlichen Vergehens gegenüber dem Erblasser oder dessen nahen Angehörigen schuldig macht.
  • Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB): Wenn der Pflichtteilsberechtigte seine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser böswillig verletzt.
  • Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung (§ 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB): Wenn der Pflichtteilsberechtigte wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde und dem Erblasser die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass unzumutbar ist. Dies gilt auch für die rechtskräftige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat.

Diese Entziehungsgründe gelten auch für die Pflichtteilsentziehung von Eltern und Ehegatten gemäß § 2333 Abs. 2 BGB.

2. Formale Anforderungen an die Pflichtteilsentziehung

Eine wirksame Pflichtteilsentziehung muss in einer letztwilligen Verfügung (Testament oder Erbvertrag) erfolgen. Dabei sind folgende formelle Anforderungen besonders wichtig:

  • Konkretisierungsanforderung (§ 2336 Abs. 2 BGB): Der Erblasser muss den zugrunde liegenden Sachverhalt, der die Pflichtteilsentziehung rechtfertigt, präzise und nachvollziehbar im Testament darlegen. Allgemeine Formulierungen oder bloße Hinweise auf Verfehlungen reichen nicht aus. Es müssen konkrete Tatsachen und Umstände genannt werden, damit die Pflichtteilsentziehung überprüfbar ist.
  • Beschreibung des Kernsachverhalts: Es ist zwingend erforderlich, dass der Erblasser den Kern der Verfehlung beschreibt, auf den die Entziehung gestützt wird. Ohne die Angabe eines klaren und nachprüfbaren Sachverhalts ist die Pflichtteilsentziehung unwirksam. Beispiele hierfür sind etwa die genaue Beschreibung eines versuchten Tötungsdelikts oder die explizite Nennung einer schweren Straftat mit Bezug zum Erblasser.

3. Verzeihung des Fehlverhaltens

Wenn der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten verziehen hat, ist die Pflichtteilsentziehung unwirksam (§ 2337 BGB). Eine Verzeihung kann ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Auch nach einer rechtskräftigen Entziehung kann der Erblasser zu Lebzeiten die Verzeihung erklären, was die Pflichtteilsentziehung aufhebt.

4. Rechtliche Konsequenzen und Anfechtung

Die Pflichtteilsentziehung hat zur Folge, dass der betroffene Erbe nicht nur seinen Pflichtteil verliert, sondern auch jegliche andere erbrechtliche Ansprüche. Die Entziehung kann jedoch von den übrigen Erben oder den betroffenen Pflichtteilsberechtigten vor Gericht angefochten werden. Dabei muss die formelle und inhaltliche Korrektheit der Pflichtteilsentziehung geprüft werden.

Die Beweislast für die Rechtmäßigkeit der Entziehung trägt der Erbe, der von der Entziehung profitiert. Hierbei müssen die im Testament angegebenen Gründe und Beweise für die Verfehlungen vor Gericht bestätigt werden.

Fazit

Die Pflichtteilsentziehung ist ein selten genutztes und rechtlich anspruchsvolles Mittel, das nur bei schwerwiegenden Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten zulässig ist. Der Erblasser muss die Gründe für die Entziehung detailliert und nachvollziehbar im Testament darlegen. Ohne konkrete Tatsachenangaben ist die Pflichtteilsentziehung unwirksam. Zudem kann eine Verzeihung die Pflichtteilsentziehung nachträglich aufheben.

Tobias Goldkamp

Tobias Goldkamp
Fachanwalt für Erbrecht
Tel. 02131/718190

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